Die Freundinnen Jo (Jeanette Hain, hinten) und Vera (Susanne Wolff) in Dominik Grafs Trilogie-Teil "Komm mir nicht nach".

Foto: ARD Degeto/Julia von Vietinghoff

Berlin - Am Anfang stand ein E-Mail-Wechsel über jene lose Gruppe, die von der Kritik gerne in die Schublade "Berliner Schule" gesteckt wird. Dominik Grafs Distanz dazu war bekannt. "Schneewittchenfilme" hatte er das genannt, Geschichten mit leblosen Menschen, in denen Deutschland als "Gespensterwelt ohne Hoffnung" erscheint. Seine Mail-Partner, Christian Petzold und Christoph Hochhäusler, waren da durchaus gemeint.

"Wir trafen uns dann in München zu einem langen Gespräch", erzählt Christian Petzold. "Eigentlich überlegten wir zunächst nur, einmal ein gemeinsames Seminar zu unterrichten. Aber ganz am Ende kam uns die Idee: Warum versuchen wir uns nicht zusammen an einem Projekt?" Das war der Beginn der Trilogie aus je neunzigminütigen Filmen, die am Montag auf ARD (20.15 Uhr) ausgestrahlt werden. Knapp skizzierte Petzold drei Geschichten: eine über einen entflohenen Mörder, eine um einen Zivildienstleistenden, dessen Leben von diesem Ausbruch "infiziert" wird, und eine dritte um eine mit dem Fall befasste Polizistin.

Hochhäusler entwarf die Topografie jenes imaginären Orts namens Dreileben, real wurde es dann Suhl und Umgebung: ein Krankenhaus, ein Hotel, eine Tankstelle, ein Schießstand, ein paar weitere Schauplätze. Zu räumlichen Überschneidungen kommt es in den Filmen nur gelegentlich. Überhaupt sollten die Beziehungen der Filme zueinander eher lose sein. Von "Geschwisterfilmen" spricht Hochhäusler. "Wir wollten ganz ausdrücklich keines dieser Puzzleprojekte", erläutert Graf. "Eher den Effekt, dass - wie Christian das formuliert hat - ab und zu eine Tür aufgeht."

Tatsächlich geht eine Tür auf, eine Tapetentür genauer gesagt. In Hochhäuslers Eine Minute Dunkel sieht man sie von innen, in Petzolds Etwas besseres als den Tod von außen. Es ist die Tapetentür des "Totenzimmers" in einem Krankenhaus. Der wegen Mordes zu langer Haft verurteilte Frank Molesch (Stefan Kurt) nimmt hier Abschied von seiner verstorbenen Mutter. Ahnungslos öffnet in Petzolds Film der Zivildienstleistende diese Tür, durch die Molesch, dessen Flucht Hochhäuslers Film nachzeichnet, dann entkommt.

Gatsby der Sozialdemokratie

Eine Liebesgeschichte steht im Zentrum bei Petzold. Der Zivi Johannes (Jakob Matschenz) hat seine Karriere, ein mögliches Stipendium in Los Angeles, fest im Blick. Er verliebt sich in das Zimmermädchen Ana (Luna Mijovic), die aus dem Osten kommt. Es überlagert sich die soziale mit der räumlichen Topografie; ständig queren Jakob und Ana über die Brücke den Fluss, den Petzold deutlich mit dem Tod konnotiert. Eine klassenbewusste Variante der Geschichte der zwei Königskinder, oder doch eher, in Christian Petzolds sarkastischer Anspielung auf den Roman von F. Scott Fitzgerald, "der kleine Gatsby der Sozialdemokratie".

Den Film über die Polizeipsychologin Johanna (Jeannette Hain) hat Dominik Graf gedreht. Jedoch ist Komm mir nicht nach von seinen Polizeifilmen recht weit entfernt. "Ich wollte durchaus einen Schritt auf die 'Berliner Schule' zu machen", meint der Regisseur im Gespräch. Was zunächst ein Genrefilm zu werden verspricht, entwickelt sich zu einem atmosphärisch überaus dichten Kammerspiel in einer noch nicht fertig renovierten Villa in der Nähe des Ortes Dreileben.

Kürzlich erst ist Johannas Freundin Vera (Susanne Wolff) mit ihrem Freund Bruno (Misel Maticevic) hierhergezogen, dem Autor so schlechter wie erfolgreicher Romane. In intimen Gesprächen der Freundinnen stellt sich heraus, dass es in ihrer Münchner Vergangenheit einen Überschneidungspunkt gab, von dem sie nichts ahnten. Der Fall Molesch gerät darüber ganz an den Rand. Die eigentlichen Ermittlungen finden denn auch zum großen Teil in Hochhäuslers Film statt. Eine Minute Dunkel erzählt Moleschs Flucht als eine Art Wiedergeburt und hält dessen Staunen über die ihm jahrelang entzogene Außenwelt und Natur in oft betörenden Bildern fest. (Ekkehard Knörer, DER STANDARD; Printausgabe, 29.8.2011)