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Nach der Parlamentssitzung das Ende des Fastens, live auf den TV-Kanälen in ganz Indien ...

Foto: Manish Swarup/AP/dapd

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Anna Hazare nimmt einen ersten Schluck Kokosmilch mit Honig.

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Dreizehn Tage hatte er jeden Bissen Nahrung verweigert, sieben Kilo in dieser Zeit abgenommen. Nun hat Indiens "neuer Gandhi", wie Anna Hazare bereits tituliert wird, seinen Hungerstreik beendet. Am Sonntag um 10.20 Uhr brach er, von TV-Sendern im ganzen Land live übertragen, mit einigen Schlucken Kokosmilch und Honig symbolisch sein Fasten. Und Indiens Regierungschef Manmohan Singh dürfte ein Stein vom Herzen gefallen sein.

Der 74-jährige Hazare hatte gedroht, sich auf einer Bühne in Delhis Ramlila-Park öffentlich zu Tode zu hungern, sollte die Regierung das geplante Antikorruptionsgesetz nicht verschärfen. Und er hatte damit eine landesweite Protestlawine losgetreten.

Am Samstag lenkten die Politiker schließlich ein. In einer Sondersitzung sicherte das Parlament per Akklamation zu, auf drei Kernforderungen Hazares bei dem sogenannten Lokpal-Gesetz einzugehen. So soll das Gesetz etwa zukünftig für alle Staatsbediensteten gelten, nicht nur für höhere Beamte. Auch die Einrichtung unabhängiger Beschwerdestellen für Bürger, die von Korruption betroffen sind, wird nun voraussichtlich ermöglicht.

Die Nation jubelte. Wahlweise von einem Sieg "für Indien", "für das Volk" oder "für die Demokratie" sprachen die Medien. Im Ramlila-Park tanzten und sangen tausende Anhänger Hazares. Damit ging ein Machtkampf zu Ende, der Indiens Regierung in eine ihrer schwersten Krisen gestürzt hatte. Eine solche Protestwelle hatte das Gandhi-Land seit Jahrzehnten nicht gesehen.

Der bis dato wenig bekannte Hazare, den alle respektvoll "Anna", großer Bruder, nennen, stieg zum Volkshelden auf, großspurig erhob er seine Kampagne "zum zweiten Unabhängigkeitskampf". Die Regierung wirkte konfus und kopflos. Um den sturen Greis aus dem Verkehr zu ziehen, hatte sie Hazare sogar für drei Tage ins Gefängnis werfen lassen. Doch der drehte den Spieß um und begann, im Knast zu fasten.

Streik "ausgesetzt"

Doch der Konflikt ist noch nicht vorbei. Sein Hungerstreik sei nur ausgesetzt, sein Kampf gehe weiter, bis das Gesetz verabschiedet sei, warnte Hazare, der sich nun für einige Tage in einem Krankenhaus erholt. Den rüstigen Ex-Soldaten und "Gandhianer" dürstet es bereits nach neuen Taten. Er will nun durchs Land touren und die Menschen aufrufen, bei den nächsten Wahlen allen bestechlichen Politikern die rote Karte zu zeigen - und das dürften in Indien ziemlich viele Kandidaten sein.

Aus westlicher Sicht mag Hazare wie ein wunderlicher Kauz wirken, der auf der Gandhi-Welle reitet und sich als Heiliger feiern lässt. Kritiker sehen in ihm einen autoritären Führer, der dem Parlament seinen Willen aufzwingen will. Auch sei das von ihm vorgeschlagene Lokpal-Gesetz kein Allheilmittel. Dazu ist die Korruption viel zu tief in Indiens System verankert. Das weiß allerdings auch Hazare selbst, der dies nur einen ersten Schritt nennt.

Das Volk sei sich seiner Macht bewusst geworden, sagt der populäre Guru Sri Sri Ravi Shankar, der einer der Unterhändler bei dem Kompromiss war. Zwar erlässt die Politik ein Gesetz nach dem anderen, um Armut und Hunger einzudämmen - doch das meiste Geld versickert regelmäßig in dunklen Kanälen. Das Fass zum Überlaufen brachten zwei Megaskandale in der Politik in diesem Jahr. Die Politiker hätten den Kontakt zur Realität und zum Volk verloren, meint Ravi Shankar. "Dies ist keine gesunde Demokratie."

Rückgrat der jüngsten Proteste war Indiens erstarkende, städtische Mittelschicht. Aber auch Rikschafahrer, Bauern und Hausmädchen kamen zum Ramlila-Park, um Hazare zu unterstützen. Selbst Indiens Ureinwohner, die oft noch schlechter als Tiere behandelt werden, reisten von weit her an: 22 Dörfer kratzten ihre letzten Rupien zusammen, um zwölf Abgesandte auf eine Reise nach Delhi zuschicken. "Wir leben von Blättern und Käfern", sagte einer. "Anna Hazere ist unsere letzte Hoffnung." (Christine Möllhoff aus Neu-Delhi, STANDARD-Printausgabe, 29.8.2011)