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Jean Béliveau schiebt in einem Wagerl sein Gepäck neben sich her, während er auf seinem Marsch um die Welt Jakarta in Indonesien durchquert. Lebensgefährtin Luce wartet in Montreal auf ihn.
"Genau an dieser Stelle ist er vor elf Jahren losgezogen", sagt Luce Archambault. Vom Gehsteig vor ihrem Wohnhaus in Montreals Innenstadt brach Luces Lebensgefährte Jean Béliveau am 18. August 2000 auf, um zu Fuß um die Welt zu wandern. Luce ließ er einfach zurück. Archambault ist Aufmerksamkeit nicht gewöhnt - anders als der 56-jährige Béliveau, über dessen 73.000-Kilometer-Marsch durch 64 Länder internationale Medien berichteten. Béliveau marschiert "für den Frieden und die Gewaltlosigkeit zugunsten der Kinder weltweit", wie er viele Male in Interviews erklärte.
Im Oktober wird er zum ersten Mal wieder an dem Tisch vor der Küchenzeile sitzen. Es ist derselbe Tisch, an dem er Luce eröffnet hatte, dass er in zehn Jahren die Welt durchwandern wolle - ohne sie. "Bei mir schlug das ein wie eine Bombe", sagt Luce. Sie waren damals seit dreizehn Jahren ein Paar. Er sagte, er wolle nicht die Trennung, aber "was immer du darüber denkst, ich gehe trotzdem", erinnert sich Luce.
Heimlich Pläne geschmiedet
Ihr Partner hatte sich schon monatelang auf seine Welttour vorbereitet, ohne ihr oder den zwei Kindern aus erster Ehe etwas zu sagen. Erst drei Wochen vor seinem Abschied weihte er sie ein. Sie konnte ihm nicht einmal einen Vorwurf machen. Vor Jahren hatte sie ihm einmal gesagt, dass man einen Lebenstraum anderen Menschen nicht verraten solle, sonst könne er sich verflüchtigen.
"Wäre ich 20 Jahre alt gewesen, hätte ich so was auch gemacht", sagt sie. Man glaubt es ihr. Sie wirkt jünger als 67. Früher war sie von den beiden die Weitgereiste. Jean hatte den amerikanischen Kontinent nie verlassen. Luce war schon in Nepal und Indien gewesen, in Ägypten, in Israel und auf Martinique, aus Neugier und Reiselust. Jean dagegen brauchte eine Mission für sein Abenteuer.
Luce erinnert sich an die heftigen Reaktionen von Familie und Freunden: "Als sie von Jeans Plänen erfuhren, sagten sie zu mir: Pack deine Sachen und verlass ihn." Luce zeigte Verständnis für Jean. Sie wusste, wie unglücklich er mit seiner Stelle in einem Geschäft für Leuchtreklame war. Um seine Depressionen zu vertreiben, hatte Jean mit dem Laufen begonnen. Die Wege in Montreal waren ihm aber offenbar zu kurz, es musste der ganze Globus sein.
Die ersten Monate nach seinem Abschied konnte Luce vor Unruhe kaum schlafen. Kontakt mit Jean hatte sie anfänglich nur sporadisch. "Eines Tages sagte ich mir, das geht nicht", erzählt sie, "das macht mich verrückt." Sie traf darauf die bewusste Entscheidung, sich nicht mehr zu sorgen.
Ihre Rettung war das Internet. Die computerbegeisterte Luce stellte eine Webseite über Jeans Weltumwanderung ins Netz, schreibt regelmäßig einen Newsletter und beantwortet tausende E-Mails von Jeans Anhängern aus aller Welt. Jean und Luce schreiben einander fast täglich oder sie telefonieren über Skype. "Ohne Internet wäre die Beziehung in Brüche gegangen", sagt Luce.
Einmal im Jahr besucht Luce ihren Mann. Sie sieht ihn zwei bis drei Wochen in einem fremden Land. Aber zu Hause war er seit seiner Abreise nie - auch nicht, als zwei Enkel geboren wurden und als sein Vater starb.
Luce ist Jeans Logistikerin
Seit 2004 ist Luce zwar im Ruhestand, kümmert sich aber rund um die Uhr um die Logistik von Jeans Welttour. Jean lebt von Spenden, von der Gastfreundschaft Einheimischer und den rund 3600 Euro im Jahr, die ihm Luce von ihrem eigenen Geld schickt. Wenn er zurück sei, müsse er dann seinen Anteil leisten, sagt sie.
Sie selbst sehnt sich heute nach einem richtigen Ruhestand. Jeans drei Dutzend zerschlissene Wanderschuhe und seine abgewetzten Strohhüte, die er geschickt hat, hat sie säuberlich in Kartons verpackt und weggeräumt. Ihr Mann freue sich darauf, künftig abends im eigenen Bett zu liegen, sagt sie.
Aber es sieht nicht so aus, als ob sich der Weltumwanderer so schnell in den Alltag einleben wird. Er will den kanadischen Premierminister Stephen Harper bei einem Treffen überreden, ein Ministerium für Frieden zu gründen. Luce zuckt die Schultern: "Darum kümmere ich mich nicht mehr", sagt sie mit Bestimmtheit, "das ist sein Kind." (Bernadette Calonego aus Montreal/DER STANDARD-Printausgabe, 29.8.2011)