Thomas Stiegmaier ist 24 Jahre alt und steht kurz vor seinem Absprung nach Brüssel. Er setze sich seit langem mit der Europäischen Union, ihrer Zukunft und aktuellen Problemen auseinander. Derzeit macht er sich über ihr "angekratztes Image" Gedanken und findet drei Ursachen: "Das erste Problem stellen gewisse Massenmedien dar, vorneweg die Kronen Zeitung." Ein Beispiel sei ihre einseitige Berichterstattung nach Beschluss des Vertrags von Lissabon. In diesem Zusammenhang sei "allerlei Blödsinn" berichtet worden, nur über die wichtigen Neuerungen nicht. Wie etwa, dass seither das demokratisch gewählte Europäische Parlament in 90 Prozent der Gesetzgebungsverfahren dem Rat gleichgestellt ist - eine enorme Stärkung der Mitbestimmung jedes EU-Bürgers.
Das zweite Problem sei ein EU-internes: die Kommunikation aus Brüssel. "Ich habe in Praktika hautnah miterlebt, wie das Werkl funktioniert", sagt Thomas Stiegmaier. Er habe gesehen, wie schwer es sei, die Vorgänge und Beschlüsse der Bevölkerung zu vermitteln. Die dritte Ursache seien die österreichischen Politiker. "Wenn die Regierung glaubhaft den Mehrwert durch die EU darstellen würde, wäre das bestimmt in der Stimmung im Volk zu spüren." Leider werde sogar bei EU-Wahlen hauptsächlich nationales Kleingeld gewechselt. Dazwischen wettere die FPÖ mit unsachlichen Parolen: "Mit einer authentischen proeuropäischen Haltung könnten sich die anderen Parteien vom rechten Populismus abgrenzen. Ich weiß auch nicht, warum sie das nicht tun."
Ab nächstem Jahr wird Thomas Stiegmaier Assistent der SPÖ-Abgeordneten Evelyn Regner im Europäischen Parlament werden und nach Brüssel ziehen. Bis dahin will der gebürtige Steirer seine Diplomarbeit am Institut für Politikwissenschaften in Wien fertigschreiben. Seine Laufbahn in der EU hat im Jahr 2008 mit einem einmonatigen Praktikum im Europabüro des Österreichischen Gewerkschaftsbundes begonnen. Darauf folgten ein Praktikum im EU-Parlament und eine Fixanstellung in der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik. Dort war seine Hauptaufgabe, mit der Wanderausstellung "Die EU und du" Schulen zu besuchen und Schüler über die Europäische Union zu informieren. Anfänglich sei er oft auf Ablehnung gestoßen: "Natürlich wurden mir auch typische Krone-Sager an den Kopf geworfen", sagt er. Nachdem die Vorurteile aus dem Weg waren, hätte er aber sachlich mit den Jugendlichen diskutieren können. Auf diesen Touren habe er bemerkt, dass junge Menschen die EU grundsätzlich sehr schätzen. Sie hätten die nationalen Grenzen im Gegensatz zu den älteren Generationen längst überwunden.
"Die Jugendlichen in Europa sind im Grunde mit denselben gesellschaftlichen Problemen konfrontiert." Auch wenn Stiegmaier die derzeitigen Aufstände nicht über einen Kamm scheren wolle, sehe er: Sehr vielen fehlt es an Perspektiven. Die EU schaffe in Bereichen wie Jugendarbeitslosigkeit die Möglichkeit, Probleme länderübergreifend zu lösen. Der überzeugte Europäer richtet seinen Appell deshalb an die Jugend: "Wir junge Menschen sollten das europäische Projekt vorantreiben. Es geht schließlich um unsere Zukunft." (Katharina Mittelstaedt, STANDARD-Printausgabe, 30.8.2011)