Wenigstens die "Problemkuh Yvonne" kann aufatmen. Die große Jagd ist zu Ende, konnte die "Kronen Zeitung" erleichtert melden. Die Kuh, die lieber ein Reh sein will, treibt jetzt frei wie ein Vogel im Forst ihr Unwesen. Davon können andere seit dem Wochenende nur träumen. Ob Wolfgang Schüssel jetzt, wo nach Jahren des Schweigens womöglich die große Jagd beginnt, lieber ein Reh sein oder doch frei wie ein Vogel im Forst sein Unwesen treiben will, statt im ÖVP-Parlamentsklub lauter zu schweigen als der Dollfuß an der Wand, wird sich bald herausstellen.
Der "Kleinen Zeitung" kam Freitag das Verdienst zu, an eine Aussage zu erinnern, die der Ex-Kanzler 2010 "Profil" noch im Vollbesitz seiner Markigkeit spendierte. "Ich habe allen in unserer Regierung immer gesagt: Wenn ich einen erwische, der hier Linke macht, dann spielt's Granada!" Analysiert man diese Aussage auf ihre Wirksamkeit, stellt man rasch fest, dass sie ebenso gut von der Problemkuh Yvonne stammen könnte. Unter denen in unserer Regierung, die unter Schüssels strenger Aufsicht im österreichischen Forst ihr Unwesen treiben durften - und das offenbar frei wie ein Vogel - , muss Granada zur animierenden Hintergrundmusik ihrer ausgelebten Raffgier geworden sein. Dass Schüssel bei seinem Vorausverdacht gegen alle in unserer Regierung immer mit Granada drohen zu müssen glaubte und trotzdem nie einen erwischte, der hier Linke macht, deutet darauf hin, dass er entweder lieber ein Reh sein wollte oder sich in der Wahl des Musikstücks vergriffen hat. Vielleicht hätten sich seine Adressaten von "I wanna be dirty" eher in die Pflicht genommen gefühlt, ihren Neigungen wenigstens nicht völlig schamlos nachzugeben. Wie dem auch sei, sein Lied flehte zu leise, um das Hecheln der Meute zu übertönen. Was den Verdacht betrifft, er könnte weggeschaut haben, um seine Regierung zu retten, gilt die Unschuldsvermutung.
Und so kam es - als hätte Raiffeisen zur Erleichterung Spindeleggers Schüssel zu dem Abschuss freigegeben, der Yvonne erspart bleibt -, dass der "Kurier" am Samstag zur Abrechnung mit einer Ära aufrief, nicht mehr nur von Skandal-Deals, sondern von solchen in Schüssels Team berichtete und der Chefredakteur persönlich die Frage aufwarf: Und wo war Wolfgang Schüssel? Jetzt muss der Alt-Kanzler reden. Sehr unwahrscheinlich sei die These, Schüssel würde jetzt mit großer Verwunderung von den kriminellen Machenschaften in der Telekom lesen. Wahrscheinlich aber auch, der Kanzler hat einfach weggeschaut. Und nichts mitbekommen?
Helmut Brandstätter war sich nicht sicher, ob der Ex-Kanzler seiner Aufforderung, damit muss jetzt Schluss sein, auch nachzukommen gedenkt. Wolfgang Schüssel ist ein besonders ausgefuchster Politiker. So einer lässt sich nicht überdribbeln. Nicht einmal, wenn Peter Rabl einen Tag später dessen Regierung das Zeugnis ausstellt: Der strenge Geruch von politischer Mafia verdichtet sich zur kriminellen Realität.
Vielleicht sitzen die stärkeren Dribbler im Team der Dichands. Dort bekam Spindelegger zu spüren, was er an Schüssel hat. Immerhin hat er den damaligen Kanzler noch immer als einfachen ÖVP-Abgeordneten im Parlament sitzen - der Mann hat offensichtlich eisernes Sitzfleisch, ist nicht anzubringen und faucht jeden an, der seine Regierungszeit nicht in den allerhöchsten Tönen lobt. Nun bekommt Schüssel zu spüren, was es bedeutet, seine Umwelt mit Verachtung zu strafen und die "Krone" davon nicht auszunehmen. Schüssel kann wählen: Entweder er hat von der Jongliererei überhaupt nichts gewusst, dann hat man ihn blöd sterben lassen. Oder er hat es gewusst und geschwiegen, dann ist er ein Falott.
Und in "Heute" assistierte der Chefredakteur. Der hilflose VP-Chef Michael Spindelegger sagt: Die Telekom-Affäre ist kein ÖVP-Skandal. So etwas nennt man entweder Schönrederei - oder eine fast schon pathologische Verdrängung der Realität. Es war die Ära Schüssel, in der sich Politiker vermutlich schamlos bereicherten. Heute kassiert Schüssel von der Atomlobby und sitzt für die ÖVP im Nationalrat. Er schweigt und sitzt alles aus. Wir leben in einem Land, das nach "politischer Mafia" stinkt. Und: Vizekanzler Spindelegger riecht leider nach wie vor nichts.
Von dem erwarten nun alle, dass er statt abzuschmettern laut jenes Granada schmettert, auf das die Nation seit Schüssel wartet. Problemkuh Yvonne müsste man sein, nicht Vizekanzler. (Günter Traxler/DER STANDARD, Printausgabe, 30.8.2011)