... in ihrer Montagsnummer die Neuigkeiten eines Marathonwochenendes stabreimend zusammen – und übersah dabei doch das Weltereignis schlechthin, das die "Frankfurter Allgemeine" mit der Apotheose einer österreichischen Fernsehmoderatorin für sich verbuchen konnte. Das Wort Apotheose ist hier nicht zu hoch gegriffen, hieß es doch in dem Weltblatt, das kürzlich seinen Lesern eine gewerkschaftlich organisierte Verkehrsbehinderung in der Gegend um Wien als Generalstreik in Österreich aufschwatzte: Vor ihr sind alle gleich und sieht Österreich aus wie ein weites Land: Wie Ingrid Thurnher beim ORF Maßstäbe setzt.

Damit wird die Moderatorin der "Zeit im Bild 2" um eine Wolke über den lieben Gott gestellt, vor dessen Antlitz allein bisher alle gleich zu sein sich einbilden durften, sieht doch vor IHR – ein mit den ORF-Gebühren abgedeckter Zusatznutzen – Österreich auch noch wie ein weites Land aus, was Einheimische seit Schnitzler und Ringel zwar gern für die österreichische Seele in Anspruch nehmen, womit sie aber gewöhnlich nichts zu tun haben wollen, wenn es um den Horizont im Allgemeinen geht. Überschrieben war der Lobpreis einer Moderatorin mit Ich erlaube mir den Luxus der Meinungsfreiheit, wobei das Fehlen der Anführungszeichen kurz Unklarheit darüber aufkommen ließ, ob sich der Hymniker Hannes Hintermeier diesen Luxus in der "FAZ" erlaubt oder Ingrid Thurnher im ORF.

Diese Unschärfe konnte an der Stelle seines Beitrages ausgeräumt werden, an der sich Letztere ein kurzes, herbes Lachen gestattet, in das der Leser gern einstimmt, wenn er erfährt: "Ich erlaube mir den Luxus der Meinungsfreiheit, Betonung auf Freiheit." Da Meinungsfreiheit verfassungsmäßig garantiert, also kein Luxus ist, nährt das Luxusgeschöpf den dringenden Verdacht, es könnte nur den ORF im Sinn haben, um überhaupt einen anzudeuten. Das wird verstärkt durch den Zusatz Betonung auf Freiheit, weil die ganze Phrase damit den Charakter einer Enthüllung annimmt: Im ORF könne man sich den Luxus der Freiheit erlauben, wenn man keine Meinung hat.

Ein Konsument des ORF kann über solche Fragen natürlich nur mutmaßen, aber er fühlt sich bestärkt, wenn eine göttliche Insiderin nachhilft. Das hat man sich etwa so vorzustellen: Am Abend der letzten Nationalratswahl hat sie zum ersten Mal die Wahlsendung moderiert. Bei der Vorbereitung habe sie sich gefragt, wie sie das am besten mache, weil man ja schlecht "ein Match kommentieren kann, wenn man Mitglied im Fanclub ist." Also sei sie Wählen gegangen, habe aber zwei Kreuze gemacht und somit ungültig gestimmt. In diesem Bewußtsein immerwährender Neutralität ließ sich die Sendung dann offenbar ganz entspannt gestalten.

ORF-Objektivität der Kreuzelschreiber: Einfach ungültig wählen, und schon ist die Meinung, der man sich selber zuvor eventuell verdächtigt hat, wie weggewischt. Dass die Gehirnwäsche, die da vorliegt, ihre Wirkung noch in der Abgeschirmtheit der Wahlzelle entfalten kann und die Selbstentmündigung als luxuriöser Triumph der Meinungsfreiheit, Betonung auf Freiheit öffentlich gefeiert wird, stellt der politischen Leistungsfähigkeit der Unternehmensführung ein gutes Zeugnis aus. Hut ab vor einer Moderatorin, die auf ihr Wahlrecht verzichtet, nur um eine Sendung dann offenbar ganz entspannt gestalten zu können. Dabei könnte sie sich den ganzen Aufwand mit der Kreuzelschreiberei ersparen: "Meine Meinung interessiert höchstens mich und meinen Mann", befindet sie apodiktisch. Die Botschaft der Nachricht überlassen zu können, das ist das Geheimnis der Ingrid Thurnher.

Womit das auch enthüllt wäre. Bei so viel Luxus kennt Hintermeier kein Halten. In ihrer Heimat ist die Vierzigjährige ein Star, ist dem scharfen Beobachter aufgefallen. Sie moderiert nicht nur auf dem Bildschirm, sondern auch Tagungen, Kongresse, Galas, alles Mögliche halt, womit sich ORF-Stars so ihr Zubrot verdienen. Sie interviewt Prominente beim Wiener Opernball. Sie hat den Pilotenschein und springt sogar für den guten Zweck mit dem Fallschirm ab. Sie war kulinarische Botschafterin, ein Winzer hat sie zur Patin seines 2002er Chardonnay erkoren und ihr Konterfei ins Holzfaß geschnitzt. Der Neid könnt' einen fressen, aber die wahre Größe kommt erst: An ihrem Arbeitsplatz, hinter dem sich eine dunkelblaue Satellitenaufnahme des Erdballs wölbt, gelingt es Ingrid Thurnher, diese ihre Heimat wie von Zauberhand viel größer erscheinen zu lassen.

Hintermeier, lass nach! Die ZIB 2 macht im Fernsehen wett, was die Tageszeitungen des Landes nicht bieten: sie liefert Weltläufigkeit ins Wohnzimmer. Und das in einem Land, dessen Grenzverlauf sich auf dem Satellitenbild wie ein Hendlhaxerl ausnimmt. Wie von Thurnhers Zauberhand! Denn bisher wurde diese ihre Heimat für deutsche Zwecke immer mit einem kleinen Wienerschnitzel verglichen. (DER STANDARD; Printausgabe, 27.5.2003)