Wien - Diese Geschworenen haben es schwer. Sie müssen sich auf eines aus der Mischung von Gefühlen verlassen. Sie müssen im Kopf Wahrscheinlichkeitsrechnungen über Schuld oder Unschuld anstellen. Indizien entscheiden den Prozess zum Raubmord in der Lobau im Sommer 2002.

Waffe gezogen und die Kassierin bedroht

Erst erzählt die Staatsanwältin eine tragische Geschichte. Der Herr Franz (45) vom Biberhaufenweg, der die Spar-Filiale leitet, will gerade zusperren. Seine Frau steht am Parkplatz und wartet. Sie hört lautes Krachen. Im Kaufhaus hat einer die Waffe gezogen und die Kassierin bedroht. Die Frau hat die Kassenlade nicht aufgebracht. Der verwahrlost wirkende Räuber mit Baseballkappe und Sonnenbrille ist immer nervöser geworden. Da hat Herr Franz einen zu mutigen Schritt gesetzt. Er hat sich vor die Kassierin gestellt und versucht, dem Räuber die Waffe aus der Hand zu schlagen. Dann hört die Ehefrau draußen dieses Krachen. Drinnen war es ein Schuss in die Brust. Ihr Mann kommt nicht mehr. Er stirbt am Tatort.

Tatmotiv fehlt

Der Räuber flüchtete damals mit 6000 Euro. Nun sehen ihn die Geschworenen, ohne Kappe und Sonnenbrille, in der Anklagebank. Aber ist er es wirklich? Der Verteidiger lässt Zweifel aufkommen. Gerhard B. (45) war zum Zeitpunkt des Raubes, angeblich nachweisbar, nicht mehr drogensüchtig. Und er hatte eine finanzkräftige Lebensgefährtin. "Es ist ihm damals so gut wie nie gegangen. Ihm fehlt das Tatmotiv", sagt der Anwalt. Außerdem plagt ihn ein Tremor nach einer Halswirbeloperation. Die rechte Hand (die die Waffe geführt haben soll) zittert unkontrolliert, das sehen auch die Geschworenen.

Den Zeugen des Überfalls hatte man alte Fotos vom Verdächtigen vorgelegt. Vielleicht hatten sie nur einen Kunden, nicht aber den Räuber erkannt. Und Gerhard B. selbst sagt: "Ich war das nicht. Ich hab' einmal in meinem Leben einen Raub gemacht, das hat mir gereicht." (Bewaffneter Überfall auf einen Juwelier: acht Jahre Haft.)

Zeugen

Nun aber treten die Zeugen auf. Die Kassierin (56) sieht den Mann an und zögert nicht: "Ja! Nur ist er jetzt sehr gepflegt." Man konfrontiert sie mit seinem Leiden, da wird die Frau von Weinkrämpfen geschüttelt. "Ja, seine Hand war nicht ruhig. Ich hab das als Angst angesehen", sagt sie. "Er ist es eindeutig - die Nase, die Lippen", bestätigt eine Kundin von damals. Auch für eine Lehrerin ist er es "hundertprozentig".

Sechs Laienrichter fällen einen Schuldspruch, zwei hätten den Angeklagten freigesprochen. Gerhard B. wird wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Er verzieht keine Miene. (Daniel Glattauer, DER STANDARD Printausgabe 27.5.2003)