Laut einer Studie von Altersforscher Amann werden Enkel durchschnittlich 31 Stunden pro Monat betreut.

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Mit seiner Ansage, der Familienbegriff müsste weiter gedacht werden, zur Familie gehören neben den Großeltern auch Nichten, Neffen, Tanten und Onkel dazu, hinterließ VP-Chef Michael Spinelegger vergangene Woche erst einmal ratlose Journalisten. Darüber, welche Konsequenzen die ÖVP aus dieser neuen Sicht auf die Familie zieht, lassen sich derzeit nur Spekulationen anstellen.

"Den Menschen etwas zumuten"

Etwas mehr Licht ins Dunkel bringt da schon Spindeleggers Statement im Sommergespräch mit Ingrid Thurnher. Sich auf die "Personalität" in der katholischen Soziallehre berufend, erklärte Spindelegger "dass man einem Menschen auch etwas zumuten muss und etwas aufträgt und er auch andere mitziehen muss." Der Mensch sei demnach zu beurteilen, wie er "seinem Nächsten begegnet" und etwas bewerkstelligte. "Und das tun wir als ÖVP mit dem was wir in Richtung Leistung fordern."

Indes werden in der Steiermark auf Geheiß der SPÖ und ÖVP wieder Pflege- und Mindestsicherungsleistungen  regressiert. Die Regress-Einnahmen stehen kaum in Relation zum personalintensiven bürokratischen Aufwand, der dahinter steht. Aber: Die Gesellschaft müsse eben einen Solidarbeitrag leisten, lautet die Argumentation.

Sozialquote nicht proportional gestiegen

Mehr privat, weniger Staat auch in sozialen Fragen, auf diese Idee scheinen sich die Regierungsparteien, allen voran die ÖVP geeinigt zu haben. De facto steigen die Sozialleistungen für alte Menschen nicht proportional. Durchschnittlich 18.000 Alte pro Jahr zusätzlich muss das System versorgen. Trotz dieses demografischen Drucks ist die Sozialquote bis zur Krise jedoch nicht gestiegen. Im Jahr 1995 wurden 28,9 Prozent des Brutto-Inlands-Produkts für Sozialausgaben aufgewandt, 2008 waren es gar nur 28,5 Prozent. Erst 2009 kletterte die Sozialquote aufgrund der Bankenkrise über die 30-Prozent-Marke. Neben dem jährlichen BIP-Wachstum von durchschnittlich 2,4 Prozent bis 2008 ist die gleich bleibende Sozialquote vor der Krise auch auf massive Einsparungen in den Bereichen Pflege und Pensionen zurückzuführen. Jedoch nicht nur bei den Alten wird gespart. Erst kürzlich verkündete Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner, dass die Einsparungen bei den Familien - etwa durch die Kürzung der Familienbeihilfe - ihre Wirkung zeigen und die Schulden im Familienlastenausgleichsfonds sinken. 

Solidarität funktioniert

Während die Politik die Sozialausgaben senkt und dafür mehr Solidarität innerhalb der Familie einfordert, ist aus der Forschung bekannt, dass Transferleistungen innerhalb der Familien - und zwar in beide Richtungen - von den Eltern zum Kind und umgekehrt - sehr gut funktionieren. "In den letzten zwei bis drei Jahrzehnten hat sich diesbezüglich wenig geändert", sagt Franz Kolland, Professor am Wiener Institut für Soziologie, im Gespräch mit derStandard.at. Sowohl Geld- als auch Hilfsleistungen werden im starken Maß ausgetauscht. 

Geld und Betreuung für die Enkel

Aus einer Studie von Altersforscher Anton Amann aus dem Jahr 2006 ist ersichtlich, dass die Hälfte der 51- bis 74jährigen Kinderbetreuungsaufgaben übernehmen. Durchschnittlich werden Enkel 31 Stunden pro Monat betreut, wobei die Varianz beträchtlich ist. Sie reicht von einigen wenigen Stunden pro Monat bis zum Äquivalent einer Vollzeitbeschäftigung.
Etwa zwei Drittel der Befragten gaben an, in den letzten zwölf Monaten Geld- oder größere Sachgeschenke beziehungsweise regelmäßige finanzielle Unterstützung geleistet zu haben, wobei die Geldzuwendungen vor allem den eigenen Kindern und Enkelkindern zu Gute kommen. Jeder fünfte der Befragten gab an bis zu 250 Euro an Geldzuwendungen geleistet zu haben. 30 Prozent der 51- bis 74-Jährigen überließen ihren Angehörigen zwischen 1.001 und 5000 Euro pro Jahr.

Auch die Zahlen aus dem Bereich Pflege zeigen, dass das Solidaritätsprinzip innerhalb der Familie funktioniert. Österreichweit gibt es etwa 420.000 Pflegegeldbezieher. Die Mehrheit, nämlich 350.000 wird zu Hause überwiegend von ihren Angehörigen gepflegt.

Familie als solidarischer Leistungsträger

Entgegen der oft geäußerten Ansicht, wonach die Familie zerfällt, etwa weil sie nicht unter einem Dach wohnt, kommt auch der Schweizer Familiensoziologe François Höpflinger zum Schluss, dass die Kontakte innerhalb der Famile nach wie vor sehr intensiv sind. In der Familiensoziologie wurde dafür der Begriff "multilokalen Mehrgenerationen-Familie" geprägt.

Und: Während die Beziehungen zwischen Großeltern und Enkelkindern früher eher distanziert und autoritär waren, sind sie heute "wärmer und nachsichtiger". Obwohl sich also die verwandschaftlichen Strukturen aufgrund demografischer Gründe stark verändert haben, funktioniere Solidarität innerhalb der Familie. "Alle Studien bestätigen die überraschend hohe Leistungsfähigkeit intergenerationeller Netzwerke, und von einem Zerfall familialer Solidarität kann nicht die Rede sein", resümiert Höpflinger. (Katrin Burgstaller, derStandard.at, 31. August 2011)