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LUIZ MORENO OCAMPO (59) ist seit 2003 Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag, 1984 war er Ankläger gegen Argentiniens Militärjunta.

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Gaddafi-Anhänger zeigen ihre Mobiltelefone in Tarhuna.

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Die Übergabe und eine Anklage von Libyens Diktator Gaddafi beim Internationalen Strafgerichtshof würde die Welt rechtsstaatlich deutlich weiterbringen, sagt Chefankläger Luiz Moreno Ocampo im Gespräch mit Thomas Mayer.

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STANDARD: Sie sagen, der Internationale Strafgerichtshof sei nicht nur etwas für Rechtsexperten oder Richter, ebenso wichtig sei die Rolle für die Öffentlichkeit, warum?

Ocampo: Das Recht ist dazu da, die Bürger zu beschützen. Wenn man in Österreich lebt, ist die Gültigkeit des Rechts so selbstverständlich wie die Luft, die wir atmen. Wenn das Recht gilt, dann können Bürger nicht einfach so umgebracht werden. Das ist in den internationalen Beziehungen heute noch nicht selbstverständlich.

STANDARD: Eine Frage des Wissens?

Ocampo: Hans Kelsen sagte, internationales Recht ist ein primitives System, in dem die Staaten die Sanktionen in die Hand nehmen. Die Schaffung des ICC hat eine einfache Gesellschaft in eine viel modernere übergeführt.

STANDARD: Auch im Fall Libyen?

Ocampo: Gaddafi hat Zivilisten auf den Straßen erschießen lassen. Nun könnte man in Europa sagen, das ist nicht unser Problem. Aber massive Angriffe gegen Zivilisten sind kein lokales Problem, sie sind eine globale Angelegenheit. Der entscheidende Punkt war, als die Erschießungen begannen, hat die Welt dazu Nein gesagt, der Fall wurde sofort an den ICC übergeben. Das ist ein Ausdruck dafür, dass die Welt weniger primitiv wurde, eine große Evolution.

STANDARD: Das Wissen darüber schafft Herrschaft des Rechts?

Ocampo: Diese Erfahrung habe ich gemacht, als ich vor mehr als 25 Jahren als Vizeankläger gegen die argentinische Militärjunta gearbeitet habe. Meine eigene Mutter war gegen mich. Sie hat Generäle gemocht, glaubte, die würden sie schützen. Sie dachte, dass ich einen Fehler mache, dass General Videla ein guter Mann sei, der uns gegen die Guerilla beschützt.

STANDARD: Was haben Sie getan?

Ocampo: Ich konnte meine Mutter nicht überzeugen. Als der Prozess begann, hat sie die Zeugenaussagen gehört, wie Menschen gefoltert und umgebracht wurden. Sie rief mich an und sagte: Du hattest recht, er muss ins Gefängnis.

STANDARD: Wieso laufen alle Verfahren des ICC wegen Verbrechen in afrikanischen Ländern?

Ocampo: Wäre der Gerichtshof in den 1940er-Jahren gegründet worden, hätte er sich mit den Europäern beschäftigt, in den 1970ern wäre es Lateinamerika gewesen, und 2011 sind es afrikanische Staaten. Das Problem ist, es gibt auch Anschuldigungen in Sri Lanka, Burma, Irak, Libanon, aber alle diese Ländern sind der Konvention des ICC nicht beigetreten, wir können da nicht tätig werden.

STANDARD: Es gibt Haftbefehle gegen Muammar Gaddafi, seinen Sohn Saif. Erwarten Sie die sofortige Auslieferung nach der Festnahme?

Ocampo: Mein Job ist es, die Beschlüsse der Richter am ICC umzusetzen. Heute gibt es nur ein Verfahren gegen Gaddafi, das ist beim ICC. Wenn die Libyer ihn wegen anderer Delikte anklagen wollen, müssen sie das mit den Richtern klären, es liegt an ihnen darüber zu entscheiden. Es gibt in Gefängnis von Scheveningen genug Zellen, die frei sind.

STANDARD: Der Vorwurf lautet Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Ocampo: Wir haben unsere Untersuchungen auf die ersten drei Wochen vor Beginn der Aufstände konzentriert. Gaddafi hat zwei Dinge gemacht. Er hat mit seinem Sohn Saif und Geheimdienstchef Senussi geplant, wie man die Rebellion zurückschlägt, wie man Zivilisten auf den Straßen und Plätzen erschießt, wie Scharfschützen bei den Moscheen platziert werden. Dazu gibt es Erkenntnisse, Berichte, Zeugenaussagen. Vieles davon ist geheim.

STANDARD: Wie wurde das geplant?

Ocampo: Die drei hatten Meetings, in denen das vorbereitet wurde. Gaddafi hat persönlich Stammesführer angerufen, um sie davor zu warnen, ihn, die Autorität, herauszufordern. Sie haben SMS versendet. Es ist das eine interessante Sache in Libyen. Gaddafi hat in der Regierung keine Rolle. Er ist der Revolutionsführer, wie ein Prophet. Das Gesetz sagt, seine Meinungen sind bindend, ob für die Zentralbank oder den Kongress. Wenn er der Zentralbank sagt, gebt mir eine Million Dollar, so ist das kein Diebstahl, keine Korruption. Seine Autorität zu untergraben ist nach libyschem Gesetz ein Verbrechen. Er glaubte, wenn er Leute einsperrt, so ist das umgekehrt kein Verbrechen, sondern ganz normal. Folterungen sind nicht Teil der Gesetze. Das sind die Fälle, die wir untersuchen, Erschießungen, Verschleppungen, Folterungen. Es gibt Anschuldigungen von Kriegsverbrechen, etwa Bombardierungen von Städten, da warten wir noch auf die Ergebnisse der UN-Untersuchungskommission.

STANDARD: Gibt es auch Ermittlungen gegen die Aufständischen?

Ocampo: Es gibt Anschuldigungen, dass in Bengasi Schwarzafrikaner getötet wurden, weil sie für Söldner gehalten wurden. Aber es hat den Anschein, dass das nicht systematisch geschehen ist.

STANDARD: Warum gehen Sie nicht gegen Syriens Diktator Assad vor?

Ocampo: Bei Diktatoren in Ländern, die die Konvention nicht übernommen haben, ist das eine politische Entscheidung des UN-Sicherheitsrates. Bei Assad fehlt uns die legale Basis. (DER STANDARD, Printausgabe, 31.8.2011)