Die Regierungsmannschaft hat den Sommer genutzt: Mit frischem Schwung geht es ans alte Werk. Also an den Streit. Wenn von einzelnen Regierungspolitikern in den Ferien überhaupt Sacharbeit geleistet worden ist, dann hat sie wohl dazu gedient, den eigenen Standpunkt zu verfestigen - nähergekommen sind sich SPÖ und ÖVP nicht.
Oder hat vielleicht irgendjemand vergessen, dass die beiden Parteien vor dem Sommer im Streit auseinandergegangen sind? Bei ihrer Klausur am Semmering hatten sie beschlossen, das abzuarbeiten, was ohnehin Konsens ist, und die Streitfragen bis auf weiteres auszuklammern. Jetzt also ist er erreicht, der weitere Punkt - und man hat den Eindruck, dass die SPÖ schon weiß, was sie tut.
Ihr Verteidigungsminister hat ein paar Worte Militärsprache gelernt und schießt die Wehrpflicht auf bürokratischem Wege sturmreif, wissend und hämisch darauf verweisend, dass sich die ÖVP auf der anderen Seite "eingebunkert" hat. Man mag das für schlechten Stil halten - wie das die ÖVP tut. Aber immerhin bringt es Bewegung in die verfahrene Angelegenheit. Und es bringt der SPÖ wahrscheinlich Zulauf von jungen Leuten, die darauf verweisen können, dass das Wehrpflichtigenheer, zu dem sie einberufen werden, nicht einmal vom politisch verantwortlichen Minister für sinnvoll gehalten wird.
Gleichzeitig - und wohl nicht zufällig gleichzeitig - beginnen einzelne SP-Landespolitiker, die Kanzlerpartei auf Bundesebene unter Druck zu setzen, doch endlich eine schärfere Gangart bei der Besteuerung von Vermögen an den Tag zu legen. Bundeskanzler und Parteivorsitzender Werner Faymann kann mit dem unschuldigsten Lächeln darauf verweisen, dass er ja ganz und gar koalitionstreu sei, dass aber der Druck aus seiner eigenen Partei leider, leider immer schwerer auszuhalten ist. Gewerkschaft und Arbeiterkammer assistieren freundlich, aber bestimmt.
Die ÖVP kocht darüber vor Wut, dringt mit ihren Argumenten aber kaum noch durch.
Und dann erst die Schulpolitik: Pünktlich zu Schulbeginn wird die Gesamtschule wieder zum Thema, Hannes Androsch darf sich über argumentative (und organisatorische) Unterstützung für sein Volkbegehren freuen - und die ÖVP muss erleben, dass selbst die Industriellenvereinigung und weite Teile des Wirtschaftsbundes einen anderen bildungspolitischen Kurs fahren als die Parteispitze. Auch sind die familienpolitischen Positionen der Industrie von denen der Sozialdemokratie kaum noch zu unterscheiden.
Der noch immer nicht ganz sattelfesten neuen ÖVP-Führung bleibt im Moment nur der hinhaltende Abwehrkampf - denn die schärfste Waffe, die die kleinere Koalitionspartei besitzt, die Aufkündigung der Koalition, hat sich im letzten Waffengang nicht bewährt: Als Wilhelm Molterer vor mehr als drei Jahren Neuwahlen ausgerufen hat, ist das seiner Partei sehr schlecht bekommen. Und aktuelle Umfragen zeigen, dass die ÖVP auch jetzt kaum gewinnen könnte.
Daher heißt es jetzt, den zähen politischen Streit in der Koalition zu führen und vielleicht doch das eine oder andere neue Argument einzubringen. Vielleicht bewegt sich ja doch etwas, vielleicht gibt es da oder dort ein neues, überzeugendes Modell. Es bleiben immerhin zwei Jahre bis zur Wahl, in denen Platz für Fantasie wäre - falls die noch nicht ganz ausgegangen ist. (DER STANDARD, Printausgabe, 31.8.2011)