Die Masse macht's: Was mit virtuellen Identitäten machbar ist, führt das Projekt "Face-to-Facebook" vor, das bei der Ars Electronica ausgezeichnet wird.

Foto: Face-to-Facebook

Dutton plädiert für uneingeschränkte Meinungsfreiheit und lehnt strengere Regeln ab. Peter Illetschko fragte.

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STANDARD: Sie beschäftigen sich seit den frühen 1970er-Jahren mit den gesellschaftlichen Auswirkungen von Computernetzwerken. Waren jene damals denn schon so offensichtlich?

Dutton: Ich untersuchte damals die Auswirkungen von Computerarbeit auf innere Strukturen der öffentlichen Verwaltung. Mir wurde dabei sehr schnell klar, dass Computer nicht nur die Effizienz bei der Arbeit erhöhen, sondern dass damit auch Machtgewinn innerhalb von Organisationen verbunden ist. Die Frage war: Wer hat welche Informationen, und wie wird die Information weiterverarbeitet? Das war in Zeiten des Arpa-net, des Internet-Vorläufers. Es war sehr faszinierend für uns, dass mit dieser Software Computer vernetzt werden konnten.

STANDARD: Hat man diese Entwicklung in den Anfängen ernst genommen?

Dutton: Natürlich machten sich viele Kollegen über mich lustig und erinnerten mich daran, dass ich Politikwissenschafter war. Für mich war aber schon damals klar, dass die Beschäftigung mit dem Netz hochpolitisch ist. Heutzutage verstehen das die meisten Internet-User. Auch meine Kinder erkannten, dass das Internet Einfluss auf die Gesellschaft hat und Machtstrukturen ändern kann. Dabei konnte ich auch von ihnen viel lernen. Junge Leute sind den Älteren technologisch weit voraus, was sie machen, ist State of the Art. Wenn ich meine Kinder frage, wie sie zu einer technischen Lösung kommen, sagen sie immer zu mir: Du bist der Internet-Professor, überleg dir eine Lösung. Gemein, oder? Im Ernst: Ich muss mich nicht damit beschäftigen. Mir ist wichtiger, zu erkennen, welche Bedeutung das Internet für unser tägliches Leben hat.

STANDARD: Wann haben Sie erstmals gedacht, dass das Internet ein täglicher Begleiter für jedermann werden könnte?

Dutton: Das war Mitte der 1990erJahre. Der Computer war nicht mehr nur multimediale Abspielstation für wenige, sondern für die Öffentlichkeit. Selbst Anfang dieses Jahrhunderts meinten noch viele Kollegen: Das Internet ist doch nur ein Hype, der bald vorübergehen wird. Was wirst du machen, wenn es vorbei ist? Ähnlich dem Hobbyfunk CB, den jedermann verwenden konnte. Sie fragten mich, ob ich keine Angst um meinen Job hätte. Heute ist uns längst klar, dass der moderne User viele Kommunikationsformen wie Skype, Facebook oder E-Mail auf verschiedenen Endgeräten, und das auch mobil und auf Reisen, verwendet. Das Web ist heute eine Plattform für demokratische Bewegungen, die wie in der arabischen Welt zu Umstürzen von autokratischen Regierungen führen. Ich muss mir also immer noch keine Sorgen um meinen Job machen.

STANDARD: Wikipedia, Youtube, Blog: Es gibt mehrere Werkzeuge, die das Internet zu einer demokratischen Plattform machen, auf der die User den Inhalt bestimmen. Gibt es auch den umgekehrten Trend?

Dutton: Das Internet verstärkt bestehende Kräfte innerhalb einer Organisation. Wenn sie also zentralistisch geführt wird, dann wird das Management auch die Computer für diese Zwecke verwenden wollen. Innerhalb eines Staates ist das ganz anders. Das Netz endet nicht an den Staatsgrenzen, sondern vernetzt die User länderübergreifend. Viel von dem, was in den arabischen Staaten geschehen ist, wurde von außerhalb gesteuert. Da haben undemokratische Regierungen überhaupt keine Chance.

STANDARD: Auch in China nicht?

Dutton: Natürlich gibt es dort Zensur. Die gibt es aber auch in anderen Ländern. Verglichen mit dem Staatsfernsehen ist das Netz in China aber weitaus offener, was zeigt, dass die Anstrengungen zentralistischer Staaten, Kontrolle über das zu bekommen, was im Web publiziert wird, nicht besonders effektiv sind, obwohl sie sich bemühen, auf eine bestimmte Frage eine Antwort zu bekommen: Wer hat Zugang zum Netz? Die Wissenschaft hat da ganz andere Interessen: Wer hat Zugang zu meinen persönlichen Daten? Wie kann ich mich selbst in sozialen Netzwerken präsentieren, ohne zu viele persönliche Dinge von mir preiszugeben? Und wen "trifft" man im Internet? Und wo "trifft" man welche sozialen Schichten?

STANDARD: In Blogs und anderen Web-2.0-Anwendungen tauschen sich aber auch radikale Gruppierungen aus. Verstehen Sie die Angst vor Terror im Netz?

Dutton: Man muss eines vorweg sagen: Über das Internet wirkt die Realität oft übertrieben, und man bekommt das Gefühl, dass radikale Gruppen hier weitaus größer und gefährlicher erscheinen als in der Realität. Natürlich verwenden Terroristen soziale Netzwerke, und ich will das auch gar nicht kleinreden. Es bleibt aber eine Minderheit. Die Mehrheit verwendet Web-2.0-Plattformen und Foren für den meist anonymen Austausch von Gedanken, gegen die man nichts einwenden kann und die nicht unterbunden werden dürfen. Strengere Regeln beginnen bei Einzelaktionen und enden dort, wo sie die Meinungsfreiheit massiv einschränken. Man muss illegale Aktivitäten unterbinden, aber Panikmache vor Terrorismus im Netz macht mir Angst, weil das Internet ein Spiegel der Gesellschaft eines Landes ist. Wer strengere Regeln für Internet-User fordert, hat auch sonst keine Probleme, Restriktionen einzuführen.

STANDARD: Wurden Blogs und andere Web-2.0-Anwendungen auch für die Organisation der Krawalle in England verwendet?

Dutton: Ein Journalist fand heraus, dass Blackberrys verwendet wurden. Das war doch überraschend, denn das ist eigentlich das Mobiltelefon der Manager. Aber die Krawalle hatten weniger mit Blackberrys zu tun als mit den Nachrichten. Immerhin konnte man die Ausschreitungen 24 Stunden lang im Fernsehen verfolgen - und so kam es zu einem Dominoeffekt. Schließlich waren es aber auch die sozialen Netzwerke, über die die Reinigung der Stadt nach dem Chaos organisiert wurde.

STANDARD: Sie sprachen in Alpbach über das Internet der Zukunft - wie wird es sich aus Ihrer Sicht weiterentwickeln?

Dutton: Die Zukunft ist offen. Die Menschen werden sich aber immer mehr vernetzen und ein starkes Demokratiebewusstsein entwickeln, vor allem in Schwellenländern. In Indien zum Beispiel ist jetzt die anonyme Antikorruptionsplattform "I paid a bribe" entstanden. Innerhalb kurzer Zeit gingen dort hunderttausende Meldungen über Bestechungen ein. Jeder muss die Möglichkeit haben, Machtzentren auf diese Art herauszufordern. (DER STANDARD, Printausgabe, 31.08.2011)

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Wissen: Alpbach 2012

"Erwartungen - The Future of the Young" heißt das Generalthema des Europäischen Forums Alpbach 2012. Man habe sich unter dem Eindruck von Jugendbewegungen und -krawallen in England, Frankreich oder Spanien dazu entschieden, heißt es aus dem Büro des Forums.

"Erwartungen" wird man zwangsläufig auch im Rahmen der Technologiegespräche diskutieren, und zwar nicht nur weil sie Teil des Forums sind. Es geht im Tiroler Bergdorf schon seit Jahren vor allem darum, wie viel Geld wohl in Zukunft für die heimische Forschung zu erwarten ist. Veranstaltet werden die drei debattenreichen Tage vom Austrian Institute of Technology (AIT, vormals Seibersdorf) sowie von den Ministerien für Wissenschaft, Verkehr, Wirtschaft und Bildung.

Das Forum wurde 1945 vom Kulturpolitiker Otto Molden und vom Philosophen Simon Moser gegründet und wird seither jährlich veranstaltet. (red)