Von Friedrich Dürrenmatt stammt der Satz: "Je planmäßiger die Menschen vorgehen, desto wirksamer vermag sie der Zufall zu treffen." Mit einer solchen Beobachtung hat man die Lacher auf seiner Seite. Dennoch würden wir fahrlässiges Handeln verurteilen und für uns selbst in Anspruch nehmen, die eigenen Entscheidungen überlegt zu treffen. Wir zeigen uns amüsiert über Meldungen, in denen Menschen aufgrund bestimmter Informationen weder eine Maximierung des Nutzens bei gegebenem Mitteleinsatz noch eine Minimierung des Mitteleinsatzes bei gegebenem Nutzen erzielten; und wir zeigen uns ebenso amüsiert über Entscheidungen, die nicht getroffen wurden. Woran auch immer im Einzelnen gedacht sein mag, wenn von dem Homo oeconomicus die Rede ist: Selten erfährt man Präzises über die Rationalität, die hier am Werk sein soll. Und auch selten etwas über den Erfahrungshorizont, der diese umgibt.

Was bringt oder kostet das Verhalten?

Jedenfalls ist es keine Rationalität, die man allgemein definieren kann. Beginnen wir mit einem historischen Beispiel: Als Nahrung knapp war, waren auch die Menschen weniger wählerisch. Es gab ein Brot für jeden Geschmack, man lebte in einer Welt der Knappheit und lehnte jegliche Form der Verschwendung ab. Heute gibt es für jeden Geschmack ein Brot. Im Zeitalter der Industrialisierung dominierten noch asketische Tugenden und lange Arbeitszeiten, Vergnügen stellte einen Nebenschauplatz dar. Dem Anstieg des disponiblen Einkommens folgte allmählich ein Anstieg der Erwartungen und Wachstumsbedürfnisse, die die seltsame Eigenschaft hatten, den Zustand des Wohlbefindens nicht auf Dauer stellen zu können. Das Wählerische mischte sich für wachsende Bevölkerungskreise mit der Lust an Neuem, die Werbung sorgte auf ihre Weise für die Vorstellung, dass Glück immer vor einem liegt.

Die Bewunderung des einfachen Lebens ist daher heute weniger ein moralisches Vorsorgeinstrument als romantischer Luxus. Es ist eben nicht nur die Moral, die uns leitet, sondern ein ökonomisches Grundradar: "Immer haben die Menschen ihr Verhalten damit erklärt, was es ihnen bringt oder was es sie kostet", meinte der amerikanische Soziologe George Caspar Homans. Aber er dachte dabei nicht an Kalkulierer, die virtuos mit Nutzenfunktionen umgehen können und die Märkte auswendig lernen, sondern Menschen, die glauben, sich auf ihre Erfahrungen verlassen zu können.

Diese Menschen zeigen sich zugleich erstaunt, wenn ihnen engstirniges Denken vorgehalten wird. Wer hätte gedacht, dass der Vertrauensverlust in den Euro den Emmentaler Käse in der Schweiz im wahrsten Sinne des Wortes durchlöchert, also bedroht? Adam Smith hätte sich darüber als Mitglied der Select Society sehr besorgt gezeigt. Wollte er doch nicht nur guten Whiskey, sondern auch guten Käse prämieren. Er zeigte damit Sympathie für ein bestimmtes Selbstinteresse, das dem anderen dient, ohne ihm zu schaden.

Permanentes Rauschen, keine Signale

Jetzt, da täglich Milliarden von Menschen eine Vielzahl von Entscheidungen treffen, wird die Welt zu einem Marktplatz, auf dem es permanent rauscht, aber klare Signale vermisst werden. Plötzlich sieht man die von Fred Hirsch beschriebene Tyrannei der kleinen Entscheidungen am Werk. Die Einzelentscheidung kann weder dauerhaft bestimmte gewünschte Strukturen garantieren noch verhindern, dass das Gegenteil eintritt. Trotzdem hat man vorher gut überlegt und nicht va banque gespielt. Orientierung und Überschaubarkeit gewinnen in solchen Situationen an Bedeutung, sodass Menschen zu dem Entschluss gelangen, wieder mehr miteinander zu kommunizieren.

Zum Rauschen der Märkte gesellt sich ein Konsument, der dank Netzwerken mächtiger, wegen der Informationsflut jedoch verwirrter zugleich ist. „Voices have multiplied but not ears." Entweder es gibt zu viele oder zu wenige Informationen - der Weg zu Paretos Optimum gleicht einem Labyrinth. (Michael Jäckel, derStandard.at, 31.8.2010)