Aufgewühlt von den Sommergesprächen mit den Spitzenpolitikern im ORF harrt die Nation nun all der Dinge, die auch im Rest der Legislaturperiode kaum Chancen haben, realisiert zu werden. Die Bürgerinnen und Bürger müssen bei ihrem Harren halt längerfristig denken lernen, ist die Politik doch bekanntlich das geduldige Bohren der harten Bretter vor den Köpfen der Regierenden, und nicht jeder verfügt über die nötigen Heimwerkerqualitäten für eine heikle Arbeit, bei der man leicht ausrutschen kann. Da ist es sicherer, man bohrt, statt einen auf Max Weber zu machen, Luftlöcher. Wenn das als wenig überzeugend empfunden wird, kann man immer noch die Drehzahl des Bohrers durch Druck auf den Volksknopf erhöhen. Volksabstimmung, Volksbefragung, Volksbegehren, egal, Hauptsache Volk, denn wie eben wieder zu erfahren war, hat dasselbe immer recht, mögen seine Entscheidungen bei Wahlen auch häufig als unsachgemäß empfunden werden, vor allem, wenn man bedenkt, welche Koalitionen sie ermöglichen.

Das müsste nicht so sein, würden die Parteien nur etwas mehr auf Österreichs heimlichen Bundespräsidenten hören. Dessen Herz gehört bekanntlich Niederösterreich, jedenfalls so lange seine Partei will, dass es dabei bleibt. Aber von dort spart Erwin Pröll aus seinem Hochsitz über den Parteien nicht mit staatstragenden Mahnungen an dieselben, wie erst diese Woche wieder einmal in News. "Hört auf mit der Nicht-Politik!", rief er ins Land, und wer würde ihm nicht begeistert zustimmen? Und noch begeisterter, wenn er ergänzt: "Stellt bei zentralen Fragen der Republik die staatspolitische Notwendigkeit vor die Ideologie." Darin geht er in Niederösterreich, dem ja sein Herz gehört, mit gutem Beispiel voran. Im Bund ist das freilich nicht so leicht getan wie in Gugging gesagt, was man am Beispiel Bundesheer sieht. Da gab die ÖVP lange einer Berufsarmee aus angeblich staatspolitischer Notwendigkeit den Vorrang vor der Ideologie der Wehrpflicht. Aber nur so lange, bis die SPÖ die Ideologie der Wehrpflicht gegen die medienpolitische Notwendigkeit einer Berufsarmee austauschte. Und nur weil die ÖVP die Einheit von Krone und Staat nicht wahrhaben will, frönt sie plötzlich der Ideologie der Wehrpflicht.

Prölls Maxime - staatspolitische Notwendigkeit vor Ideologie - zu folgen fällt also nicht einmal seiner eigenen Partei leicht. Aber er weiß: "Zuzusehen, wie nur undurchführbare Vorschläge kommen, das ist zu wenig. " Weshalb er gleich mit dem Vorschlag aufwartete, das Prinzip der Einstimmigkeit im Ministerrat aufzuheben. Da liegt die Lösung aller Probleme dieser Koalition der "Nicht-Politik" auf der Straße - und Pröll muss kommen, sie zu erkennen! Zwar würden die Regierungspartner dann wohl auch im Nationalrat gegeneinander stimmen, und die Koalition wäre rasch am Ende, aber wenn jemand nicht zusehen kann, wie nur undurchführbare Vorschläge kommen, soll man nicht kleinlich sein.

Schade, dass Pröll seinen Vorschlag nicht schon zur Zeit von Schwarz-Blau gemacht hat. Schüssel hätte sich gewiss darauf gestürzt und vieles von dem verhindert, wovon die Volkspartei heute nicht tangiert sein will. Na dann halt beim nächsten Mal. (DER STANDARD; Printausgabe, 2.9.2011)