John Nolan, Leiter des Steno Diabetes Center in Dänemark, sagte einen Satz, der vermutlich aus dem Lehrbuch für die Eigenvermarktung von Klinikleitern stammt: "Die Patienten sind für uns Kunden." Und überließ dann Diabetikern die Bühne, die gerne bestätigten, dass die Ansprüche des Zentrums erfüllt werden. Hanne Mette Jespersen zum Beispiel, 40 Jahre alt und seit 35 Jahren zuckerkrank, erzählte mit leiser Stimme, dass sie an Depressionen litt, sich aber jetzt dank der Betreuung gut fühlt und nur staunen kann, wie normal ihr Leben als Diabetikerin jetzt ist im Vergleich zum Leben der Patienten vor dreißig bis vierzig Jahren. Sie hat wie ihr Vater und ihr Sohn Typ-1-Diabetes, leidet also an einer Autoimmunerkrankung, in deren Verlauf die Insulin produzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse zerstört werden. Betroffene müssen lebenslang künstlich hergestelltes Insulin spritzen.
Besuch in der Fabrik
Der zweite Tag eines Besuchs bei Novo Nordisk endete emotional. Der dänische Insulin-Weltmarktführer hatte zur Besichtigung der Fabrik, der Forschungslabors und der hauseigenen Klinik Steno geladen, in der 6200 Diabetiker betreut werden.
Novo Nordisk verwendet die Bäckerhefe Saccharomyces cerevisae, deren DNA mittels gentechnischer Methoden verändert wird. Die Hefe scheidet ein Proinsulin in die umgebende Nährlösung aus. In riesigen Kesseln wird das Proinsulin von unerwünschten Stoffen gereinigt und schließlich unter anderem mit Wasser und Metacresol angereichert. Das ist ein Mittel, das Insulin unter anderem vor Bakterien schützen soll und für den markanten Desinfektionsgeruch des Präparats verantwortlich ist.
Einen Blick in den einen oder anderen Fabrikskessel durften die Besucher werfen. Da wurde gerade eine unappetitlich schleimige Brühe zentrifugiert. Dass daraus seit 1999 das rasch wirksame Novorapid produziert wird, konnte man sich kaum vorstellen.
Andere Pharmakonzerne wie Ely Lilly oder Sanofi-Aventis verwenden für die Insulinproduktion gentechnisch modifizierte Escherichia coli. Das sind Bakterien, die in der Darmflora vorkommen und ungefährlich sind, am falschen Platz aber Erkrankungen wie Hirnhaut- und Bauchfellentzündung verursachen können. Diese Insulin-Herstellungsvariante ist komplizierter als mit Hefepilz. E.coli produziert die Vorstufe des Präparats nämlich in seinem Inneren, nicht in die Nährlösung. Man muss den Wirkstoff also erst extrahieren. Beide im Labor hergestellten Insuline sind aber nach Ansicht des Diabetologen Bernhard Ludvik vom AKH Wien "gleich gut" in ihrer Wirkung.
In jedem Fall sind sie eine deutliche Verbesserung gegenüber der Insulinproduktion aus Rinder- oder Schweinebauchspeicheldrüsen, die erstmals 1921 durch Frederick Banting und Charles Best gelang. Ein Typ-1-Patient würde heute eine Schweinebauchspeicheldrüse pro Woche brauchen. Außerdem bestünde die Gefahr von Antikörper-Reaktionen und Allergien, weshalb große Pharmafirmen davon abgekommen sind.
Novo Nordisk demonstrierte aber nicht nur die Insulinproduktion. Die Experten des Pharmakonzerns sprachen auch über aktuelle Probleme in der medizinischen Versorgung. Nur die Hälfte aller Diabetiker seien diagnostiziert (Stand 2010: 285 Millionen), nur die Hälfte davon erhalte medizinische Versorgung, und wieder nur die Hälfte würde auch Behandlungsziele erreichen. Vor allem Länder in Afrika, in Asien, aber auch Haiti, seit dem Erdbeben 2010 unterversorgt, seien betroffen. Novo Nordisk verkauft daher Insulin in diese Regionen unter dem Preisniveau von 2009. Ein positives Image, dass man auch mit Fakten über den Umstieg auf grüne Fabriktechnologien verstärken wollte. Die Reduktion des CO2-Ausstoßes um die Hälfte macht sich nicht schlecht in einer Aussendung.
Neues Langzeitinsulin
Ein Hintergrund für all diese PR: Novo Nordisk will mit dem neuen, besonders lang wirksamen Insulin Degludec dem derzeitigen Marktführer auf diesem Gebiet, Sanofi-Aventis und seinem 24-Stunden-Insulin Lantus, den Rang ablaufen. Das neue Produkt soll drei Tage wirken. Klinische Tests werden demnächst durchgeführt.
Der Diabetologe Ludvik steht dieser Entwicklung grundsätzlich positiv gegenüber: "Das Ziel ist, mit länger wirksamen Präparaten zu erreichen, dass Patienten weniger Zuckerschwankungen haben." Ein entscheidender Vorteil des 24-Stunden-Insulins falle aber mit der Drei-Tage-Spritze weg. Man könne dann nicht mehr täglich und flexibel die Dosis überdenken und beispielsweise verringern, "was Diabetiker, die für den kommenden Tag Sport planen, tun sollten, um in keinen Unterzucker zu fallen". (Peter Illetschko aus Kopenhagen, DER STANDARD, Printausgabe, 04.09.2011)