Ja, darf er denn das?! In Bermuda-Shorts ins Ministerbüro? Cornelius Obonya durfte natürlich. Immerhin kam der Schauspieler direkt von einem Nachtdreh in Innsbruck zum Sommergespräch mit Unterrichtsministerin Claudia Schmied - draußen hatte es 35 Grad.

Foto: STANDARD/Corn

Claudia Schmied: "Was uns wirklich fehlt, ist die große Erzählung für das Land, die Zukunftsgeschichte."

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Cornelius Obonya: "Letztendlich weiß keiner wirklich, wo es hingeht, weil es niemanden gibt, der die große Linie vorgibt."

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STANDARD: Herr Obonya, normalerweise stehen Sie auf einer Bühne oder vor einer Kamera. Was die Politik anlangt, sind Sie als Staatsbürger quasi im Publikum - wie beurteilen Sie die aktuelle Aufführung auf der politischen Bühne?

Obonya: Jetzt könnte man anfangen mit dieser ewigen Stillstandsdebatte. Das ist ein Blödsinn. Ich finde, dass gar nicht alles so stillsteht. Die Regierung tut durchaus ihre Arbeit, in manchen Fällen mehr, in manchen weniger. Was mich wahnsinnig macht, ist diese große generelle Ideen- und Mutlosigkeit. Es gibt keine großen Würfe mehr. Niemand eckt mehr an. Alles ist glatt und gleichgebügelt, und das merken die Menschen.

STANDARD: Frau Ministerin, was sagen Sie zu dieser Diagnose?

Schmied: Ich freue mich, wenn Sie sagen, das mit dem Stillstand sehen Sie nicht so, weil wir alleine in meinem Handlungsfeld 39 Regierungsvorlagen haben. Das ist im Detail sehr viel, aber was uns wirklich fehlt, wenn wir das dramaturgisch formulieren wollen, ist die große Erzählung für das Land, die Zukunftsgeschichte für das Land. Wir sprechen viel zu wenig das Herz und die Emotion an, damit meine ich auch die Werteebene. Wir müssen noch viel stärker einsteigen in Themen wie Persönlichkeitsentwicklung und soziale Kompetenz, dazu gehören auch Vorbilder mit Ecken und Kanten.

Obonya: Das, was gemacht wird, sind letztlich alles kleine Bits 'n' Pieces, richtige Schritte, aber wenn ich mir anschaue, was in diesem Schulsystem wirklich passiert, dann denke ich mir: Das kann doch nicht sein! Als ich für meinen Sohn vor einem Jahr eine Schule gesucht habe, war ich am Tag der offenen Tür in einer ganz normalen Volksschule. Es gab keine Direktorin, stattdessen kam eine schwer überarbeitete Lehrerin auf uns zu, die sagte: Ich mach' das jetzt seit einem halben Jahr, wir urgieren schon die ganze Zeit, aber es gibt niemanden, der uns zugeteilt wird. So etwas kann in einem der reichsten Länder der EU nicht sein! Es gibt niemanden, der das Ganze nimmt und sagt, das machen wir so, auch wenn wir aus verschiedenen Parteien sind.

STANDARD: Wäre das nicht die Aufgabe einer Regierungsspitze, diese große Erzählung vorzuformulieren und dann mit der gesamten Bundesregierung auszuerzählen?

Schmied: Ich denke, jeder von uns muss sie emotional vorleben. Ich bin da immer vorsichtig, weil wir da rasch wieder im Obrigkeitsstaatlichen sind.

Obonya: Auch furchtbar.

Schmied: Und es ist dann nicht weit zum Ruf nach dem "starken Mann", der alles für uns regelt. Das will ich nicht. Wir brauchen etwas anderes, gerade was die Schule betrifft: Radikale Bemühungen in Richtung mehr Verantwortung auf den einzelnen Ebenen. So wie im Theater der Theaterdirektor, in einer Bank der Bankdirektor, braucht auch der Schuldirektor viel mehr Kompetenz und Verantwortung. Jetzt sind wir in einem System, das sehr obrigkeitsstaatlich tickt, die Schule läuft zu sehr über Verordnungen und Erlässe, damit wird Verantwortung immer wieder delegierbar auf andere. Nach dem Motto: Ich würde ja gern, aber es geht nicht, weil ...

Obonya: Das ist wahr. Aber nicht missverstehen, ich meine selbstverständlich nicht den Ruf nach dem starken Mann. Das sollen die Herren von der rechten Seite machen, die sind damit genug beschäftigt - leider. Aber was spüren die Leute? Letztendlich weiß keiner wirklich, wo es hingeht, weil es niemanden gibt, der die große Linie vorgibt. Das kann natürlich im besten Fall, wie es früher einmal war, der Bundeskanzler sein. Da können wir von Bruno Kreisky und anderen reden, klar. Aber jetzt herrscht eine komische Perspektivlosigkeit - und das in einem absolut reichen Land. Wie kann es da sein, dass die Unis seit, ich glaube, drei Jahren durchbrüllen: "Uns geht's net guat!" - und letztendlich passiert nie etwas? Auch im Schulbereich dasselbe.

Schmied: Beim Schulthema ist es so, dass jeder seine individuellen Vorstellungen hat. 120.000 Lehrerinnen und Lehrer, 1,2 Millionen Schülerinnen und Schüler und ihre Eltern. Jeder war einmal in der Schule. Je breiter die Betroffenheit, umso breiter die Debatte und umso näher der Allgemeinplatz und nicht das fundierte Argument. Viele reden mit. Das ist wie beim Fußball. Cordoba!

Obonya: Da gibt's so einen wunderschönen Spruch: Eine Meinung ist wie ein Hintern, jeder hat einen.

(Lachen.)

STANDARD: Herr Obonya, Ihr Sohn Attila ist fünf und kommt in einem Jahr in die Schule. Sie sind in der glücklichen Lage, ihn nicht in eine öffentliche Schule schicken zu müssen, wenn Sie nicht wollen ...

Obonya: Ich würde aber gern! Ich will ihn liebend gern in eine Gesamtschule geben und fände es für ihn absolut wunderbar, gerade weil er aus einem extrem geschützten Leben kommt. Ich fände es für ihn absolut wichtig, in eine Schule zu gehen, wo selbstverständlich Ausländer sind, oder wer halt in Österreich als "Ausländer" gilt. Natürlich ist Deutschunterricht schon im verpflichtenden Kindergartenjahr wichtig - und eine entsprechende Entlohnung der Kindergartenpädagoginnen. Aber alles, wovon ich rede, ist eine Riesentraumblase. Im Moment erlebe ich ständig nur eine Debatte: Wir hätten gern, aber die anderen wollen nicht. Ich möchte jemanden haben, der endlich was tut. Und es ist eigentlich furchtbar, dass der über 70-jährige Androsch das Bildungsvolksbegehren initiieren muss.

Schmied: Wir haben offenbar ein Vermittlungsproblem. 70 Prozent der Forderungen des Volksbegehrens sind umgesetzt. Ich bin sehr froh über die Initiative, weil viele unserer Projekte würde es ohne diesen öffentlichen Druck wohl nicht geben: die Verdopplung der Zahl der Ganztagsschulen und den flächendeckenden Ausbau meines Leitprojektes, der neuen Mittelschule, das ich jetzt in der Koalitionsregierung nicht ganz so verwirklichen kann, wie das meinen - und auch Ihren - Träumen entspricht. Aber da müssen wir alle gemeinsam dran arbeiten, dass es Wirklichkeit wird. Zumindest der Weg dahin ist geebnet.

STANDARD: Das Bildungsvolksbegehren ist eigentlich unnötig?

Schmied: Nein, das Volksbegehren ist wichtig. Es mag ja vielleicht ein bisschen absurd klingen, dass ich als Regierungsmitglied nicht müde werde zu sagen, ich freue mich, dass es das Volksbegehren gibt. Ich werde es auch unterschreiben, obwohl es sich ja auch an mich als Regierungsmitglied wendet. Bildungspolitik ist aber ein derart breites Thema, dass die Unterstützung dafür nicht breit genug sein kann.

Obonya: Dass Sie ein Kommunikationsproblem haben, finde ich auch, das ist ein allgemein gesellschaftlich-politisches Problem. Die Leute können es nicht mehr hören. Der starke Mann muss eine Idee sein und nicht eine Person. Wenn sich die Sozialdemokratie wieder darauf besinnt, was die meisten von ihnen gut und von Herzen denken, und das wieder brachial und emotional ungebremst den Leuten vermittelt, nicht geschult und gecoacht von PR-Leuten, dann hat sie eine Chance. Dann hat übrigens jeder eine Chance, auch die Konservativen hätten viel mehr Chancen, ihre Ideen umzusetzen - manches ist ja gar nicht blöd.

Schmied: Welchen Beitrag kann da die Kunst leisten?

Obonya: Die Kunst kann immer nur versuchen, Probleme aufzuzeigen und Emotionen anzusprechen. Ich halte wenig davon, dass Kunst Weltverbesserung sein will.

STANDARD: Wünschen Sie sich mehr politisches Engagement von Künstlern und Künstlerinnen?

Schmied: Politisches Engagement, ja, aber das möchte ich differenzieren vom parteipolitischen Engagement. Es kommt ja auch immer darauf an, was macht die Gesellschaft aus einer künstlerischen Intervention? Mir wurde erzählt, was mit Rolf Hochhuths Stück McKinsey kommt geschah. Er erzählt die Geschichte eines großen Unternehmens, wo die Beratergruppe McKinsey quasi "einfällt", mit dem Ziel: 20 Prozent Personalabbau. So wie das viele Male in der Realität vorkommt. Es wurde bewusst in Brandenburg uraufgeführt, wo es 20, 25 Prozent Arbeitslosigkeit gab. Was ist passiert? McKinsey hat viele Vorstellungen aufgekauft, hat die Intention gewendet und es beinahe als Kundenveranstaltung dargestellt. Das erinnert mich auch an den Film Wall Street. In der Bank wurden bei Rhetorikkursen Szenen wie die legendäre Rede vor den Aktionären, wo Michael Douglas als Gordon Gekko über die Gier spricht, vorgespielt - quasi als Musterbeispiel für eine gute Rede. Das war von den Künstlern sicher anders gedacht. Dass Kunst die Probleme benennt, erwarte ich mir schon, und da ist auch noch viel Potenzial.

Obonya: Parteipolitisch ist immer schwer. Ich kenne keinen Künstler, der sofort sagen würde: Ach sicher, ich engagiere mich sofort in der Partei XY, garantiert nicht, man möchte ja schön unabhängig bleiben. Das ist an sich ja auch richtig so. Ich habe mir auch gesagt, na gut, dann halt die Klappe und mach! Mach Politik! Aber dann muss ich meinen Beruf vollständig aufgeben. Und ich glaube auch nicht, dass ich das kann. Es gibt Menschen, die haben ein Talent zur Politik, und es gibt Menschen, die haben es nicht. (Lisa Nimmervoll, STANDARD-Printausgabe, 3./4.9.2011)