Herbert Föttinger, der jetzt doch mit Nestroy und nicht mit Franzobel die Spielzeit eröffnet: "Bin eine unruhige Erscheinung!"

Föttinger (50) leitet als gelernter Schauspieler seit 2006 das Wiener Josefstadt-Theater. Mit Nestroys "Lumpazivagabundus" (Regie: Georg Schmiedleitner) beginnt er am 15. September seine sechste Spielzeit.

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Ein Gespräch mit Ronald Pohl über Wiener Tücke und moderne Zeiten.

Standard: Kurz sei an die Affäre "Lumpazivagabundus" erinnert: Sie selbst haben das Auftragswerk von Franzobel nach Erhalt als "unfertig" bezeichnet. Es hieß, auch die Schauspieler hätten sich gegen die Nestroy-Neudeutung ausgesprochen. Was lief schief?

Föttinger: Es gab in den vergangenen 200 Jahren viele Auftragswerke, die nicht gespielt wurden. Da ist dem Theater in der Josefstadt gewiss keine Einmaligkeit passiert. Neu und einmalig ist hingegen die Tatsache, dass hier noch nie so viele Ur- und Erstaufführungen stattfanden wie in meiner Direktionszeit. Franzobel ist ein ausgewiesener Autor, aber bei seiner Lumpazi-Version fehlte mir die kühne Auseinandersetzung mit der Nestroy'schen Vorlage. Also habe ich die Aufführung abgesagt. Einen Aufstand der Schauspieler hat es nie gegeben.

Standard: Was ist nach fünf Direktionsjahren Föttinger am Josefstadt-Theater Ihrer Meinung nach noch verbesserungswürdig?

Föttinger: Vieles, denn ich bin eine unruhige Erscheinung, und mein Kopf ist voll mit Plänen. Aber in diesem Gespräch behalte ich sie für mich, ein paar Geheimnisse muss auch ich haben. Nur so viel: Bei den Kammerspielen sind uns wesentliche Schritte ins 21. Jahrhundert gelungen. Weitere werden folgen.

Standard: Sie wollen die Kammerspiele 2013 sanieren und machen dafür einen Finanzbedarf von 13,5 Millionen Euro geltend. Für die Hälfte der Summe sollen die beiden Subventionsgeber aufkommen. Wie sehen deren Signale aus?

Föttinger: Um ehrlich zu sein, nicht sehr ermutigend. Mir schwebt für die Kammerspiele eine Unterhaltungsbühne im besten Sinne vor: intelligenter Off-Broadway. Wenn man uns nicht hilft, muss ich mich mit der Sammelbüchse auf die Kärntner Straße stellen.

Standard: Im großen Haus läuft alles wunderbar?

Föttinger: Die Frage klingt ganz harmlos, aber dahinter verbirgt sich ein bestimmter Blick: Die Josefstadt ist halt die Josefstadt, und das wird wohl ewig so bleiben. Ich habe es satt, mich immer wieder gegen diese Sichtweise verteidigen zu müssen. Hier gab es in den ersten fünf Jahren meiner Direktion mehr neue Stücke zu sehen als in den meisten vergleichbaren deutschen Theatern. Hier spielen faszinierende Schauspieler, die großen Renommierten ebenso wie die jungen Talentierten. Auch ästhetisch hat sich die Josefstadt von Grund auf verändert.

Standard: Inwiefern?

Föttinger: Demnächst erscheint ein Bildband über diese ersten fünf Jahre, mit Fotos von Sepp Gallauer. Wenn Sie sich die Bilder anschauen, dann werden Sie sehen, wo wir heute stehen: ziemlich weit vorn. Aber hier in Wien gibt es Leute, die nicht sehen, was sie nicht sehen wollen.

Standard: Eine Mentalitätsfrage?

Föttinger: Ja, hierorts steckt man in der Tracht seiner Vorurteile und macht alles nieder. Das ist die wienerische Niedertracht. Anstatt sich zu freuen, dass hier ein modernes Theater entstanden ist, wird herumgemotschkert, auch feuilletonistisch. Ich wiederhole: Hier gibt es Aufregendes zu sehen, nicht immer, aber immer öfter. Die Menschen kommen zuhauf ins Theater.

Standard: Der Prozentsatz liegt aktuell wo?

Föttinger: Im Kartenverkauf nehmen wir zwischen 8,4 und 8,8 Millionen Euro ein. Das sind 42 Prozent Eigeneinnahmen. Dieses Ergebnis gibt es an keinem anderen deutschsprachigen Theater ähnlicher Größe.

Standard: Sie verstehen sich nicht mehr als Entwicklungshelfer, der hiesige Gepflogenheiten verteidigen möchte. Heißt das, Sie müssen nach wie vor Produktionen rein um der Einnahmen willen spielen?

Föttinger: Nein, das heißt, dass wir Neues spielen, und trotzdem kommt Geld herein. Das ist kein leichtes Kunststück. Zeigen Sie mir einen Theaterdirektor, der sich darüber nicht freuen würde.

Standard: Eine solche Kalkulation enthebt die Josefstadt anderer Mühen: Sie müssen sich nicht dafür rechtfertigen, dass Sie keinen ästhetischen Aufruhr veranstalten.

Föttinger: Wer sagt eigentlich, dass es bei uns keinen Diskurs gibt? Das Problem des deutschsprachigen Theaters, vor allem des Regietheaters, sieht doch so aus: Es gibt ungefähr ein Dutzend großer Namen. Jeder errichtet seinen Stand und behauptet seine Bedeutung. Es ist wie bei Peek & Cloppenburg. Auch dort gibt es einen Armani-Stand und ein Versace-Eck. Alles aus Rigips. Die Häuser brauchen die immergleichen Namen. Wer vorn dabei sein will und in Theater heute posieren will, muss teuer einkaufen.

Standard: Aber definiert sich das Josefstadt-Theater nicht über sein Ensemble?

Föttinger: Der Ensemble-Gedanke ist ja etwas Schönes, aber er ist vorbei. Ein Ensemble bildet sich über viele Jahre. Wenn heute ein neuer Intendant kommt, dann wirft er meistens die vorhandenen Schauspieler hinaus. Dorn geht, Kusej kommt, und mit ihm kommen neue Leute. Die Josefstadt "hütet" ihre Schauspieler, aber etliche wollen sich nicht fix binden.

Standard: Wo fühlen Sie sich am wohlsten? Als Hausvater im Direktionsbüro oder auf der Bühne?

Föttinger: Ich gleiche eher einem Schiffskapitän. Aber glauben Sie mir, wenn ich morgens dieses Theaterschiff betrete, weiß ich nicht, welches Schlingern mich an diesem Tag erwartet, und in welche Untiefen ich gerate. (DER STANDARD, Printausgabe, 3./4. 9. 2011)