1 Cent: So viel überweist die deutsche Künstlerin Christin Lahr an das Bundesministerium für Finanzen in Berlin - jeden Tag. In das Feld Verwendungszweck schreibt sie jeden Tag 108 Zeichen aus Das Kapital von Karl Marx. Bis sie den gesamten Text des Buches übertragen hat, dauert es ungefähr 43 Jahre. Die Künstlerin will mit diesem Projekt, das derzeit im Rahmen der Ars Electronica in Linz zu sehen ist, das derzeitige Wirtschaftssystem auf die Probe stellen und eine Wertedebatte provozieren.

Auf anderen Ebenen wird bereits diskutiert: über die Frage, ob nun die Linke doch recht hat; ob die Reichen generell mehr zahlen müssen, wie dies in mehreren Staaten debattiert wird; oder in der österreichischen Ausprägung, ob eine Vermögenssteuer eingeführt werden soll. Und dass die Steuerzahler für Fehlverhalten von Managern und Fehler von Banken zur Kasse gebeten werden, wie dies bei der verstaatlichten Hypo Alpe Adria der Fall ist, die mehr Eigenkapital braucht.

Der gemeinsame Nenner dieser Debatten ist Fairness und Gerechtigkeit - darum geht es. Es ist kein Zufall, dass diese Diskussionen jetzt hochkochen. Die Finanzkrise hat die Entwicklung noch verschärft: Es ist eine Umverteilung nach oben im Gange. Gewinne wurden privatisiert, Verluste sozialisiert. Jahrelang haben riskante Geschäfte und Anlagen gute Gewinne abgeworfen, für die Rettung des Kapitals muss jetzt der Steuerzahler aufkommen. Die Kosten der Krise werden auf Staaten und deren Bürger abgewälzt.

Es lässt sich nicht so einfach auf einen Nenner bringen, ob nun die Linke recht hat oder nicht. Aber wenn Konservative wie Charles Moore und Frank Schirrmacher Sätze wie "Die Reichen werden reicher, aber die Löhne sinken" und "Fast alle arbeiten heute härter, leben unsicherer, damit wenige im Reichtum schwimmen!" schreiben, dann ist das an sich schon bemerkenswert. Wenn sie aber, wie von beiden gemacht, offen und öffentlich über ihre "Selbstdesillusionierung" und die "gierigen Wenigen" schreiben, dann ist das ein Aufruf.

Aufgeschreckt fühlen sich in Österreich Leitartikler wie Michael Fleischhacker und Christian Rainer, die zum publizistischen Gegenangriff ausrücken und versichern, die Linke habe nicht recht. Richtig: Wer an die verstaatlichte Industrie denkt, wird sich erinnern, dass nicht alles gut gelaufen ist. Aber dass durch die von Schwarz-Blau/Orange ausgelöste Privatisierungswelle einige wenige profitiert haben, wird erst jetzt deutlich.

Aufgerufen fühlen sich auch Politiker wie Bundeskanzler Werner Faymann, der in dieser Woche einen neuen Anlauf zur Einführung einer Vermögenssteuer versuchte. In seiner neuerdings antrainierten latent aggressiven Weise geriet sie ihm zum populistischen Reichen-Bashing. Nur die "oberen 80.000" zu besteuern, wird auch deshalb kaum gelingen, weil die mobil sind und ihr Vermögen ins Ausland bringen können. Konsequent wäre es, das Bankgeheimnis zu beseitigen, um das Finanzvermögen wirklich erfassen zu können, und die Einheitswerte bei Grund und Boden anzuheben. Aber da ist die ÖVP dagegen. Deshalb fordert die SPÖ auch nur eine Millionärsabgabe. Die vom Bundespräsidenten vor kurzem angestoßene Debatte über die Wiedereinführung der Erbschaftssteuer wurde nicht einmal von der SPÖ aufgegriffen.

Tatsache ist: In Österreich wird Arbeit zu hoch besteuert, Vermögen im internationalen Vergleich zu niedrig. Das ist ungerecht. (DER STANDARD, Printausgabe, 3./4.9.2011)