Wien - Theaterkunst ist den Menschen, die in dem Pariser Stadtteil Goutte d'Or (18. Arrondissement) zu leben die Auszeichnung haben, gewiss etwas Äußerliches. Die Idee, die Selbstdarstellungen der Viertelbewohner aufzuzeichnen, um sie hernach professionellen Schauspielern in den Mund zu legen, die obendrein noch das gestische Vokabular ihrer "Vorbilder" verinnerlichen: das gefrorene Lächeln, die Maulfaulheit, den Selbstdarstellungseifer, den Slang - sie zehrt von der Anbiederung an die Idee der Feldforschung.

Alles, was hier stockend oder auch ganz bereitwillig zu Protokoll gegeben wird, lebt vom Ideal einer "Wahrheit", die gewissermaßen nur künstlich oder "verfremdet" wiederherzustellen sei:

Da sitzt oder lümmelt ein Bäcker, bläst verächtlich die Luft aus und klagt über die "Verkommenheit" eines Viertels, das ihm überdies die Existenz als Nahversorger zusehends verunmöglicht.

Laurence Février, Regisseurin und Leiterin des achtteiligen Projekts Quartiers-Nord , das dieser Tage im Rahmen des forums festwochen ff im dietheater Konzerthaus zu Ende ging, gibt die verständnisvolle Zuhörerin: Fest an ihr Manuskript gekrallt, passieren ihre Fragen und Anregungen die Instanz einer Dolmetscherin - was den trauten Dialog zum oftmals hemmenden Dreiergespräch erweitert und jegliche Intimität aus der Mitte verscheucht. Nun quillt auch noch eine leicht ranzige Verschämtheit aus allen Poren. Erwartbar bleiben alle auftauchenden Kulturhürden weithin leuchtend aufgebaut - eine Art vorsätzlicher "Correctness" vereitelt die Annäherung an ein kollektives Leben, das eben nicht dazu angetan erscheint, auftretende Probleme zwischen Interessen und Ethnien sofort zu entsorgen. Und so labt man sich an kleinen Details - wie an dem Sozialarbeiter (Pierre Pradinas), der mit der Attitüde des unerschütterlichen Straßenfriedenskämpfers über kulturelle Verwerfungen im "Hieb" dampfplaudert, als hätte er es mit Konrad Lorenz' Graugänsen zu tun. Natur pur - eine der Aporien von Gesellschaftswissenschaften. Oder aber: eine erstaunlich leblose Beweisführung. (Ronald Pohl/DER STANDARD; Printausgabe, 28.05.2003)