Peter McDonald findet die Kritik "berechtigt".

Foto: SVA

Die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVA) organisiert die Kranken- und Pensionsversicherung der Selbstständigen. Ihr rigides Beitragssystem und die oft als zu hoch wahrgenommenen Versicherungsbeiträge ziehen in einer Zeit, in der der Freiberufler den klassischen Unternehmer ablöst, zunehmend Kritik nach sich. Die SVA würde sich am "Unternehmerbild à la Fabriksbesitzer" orientieren und ein regelmäßig hohes Einkommen voraussetzen, das es so nicht gebe, kritisiert die Facebook-Gruppe "Amici delle SVA" ("Freunde der SVA").

                                                ***

derStandard.at: Herr McDonald, Selbstständige tragen ein höheres Armutsrisiko als Arbeitnehmer. Drei von fünf SVA-Versicherten sollen monatlich weniger als 600 Euro netto verdienen, wer von ihnen kein zusätzliches Einkommen hat, liegt damit weit unter der Armutsgefährdungsgrenze, aktuell 994 Euro.Viele fühlen sich von der SVA geschröpft. Was sagen Sie dazu?

Peter McDonald: Ich habe großes Verständnis für die oft schwierige Situation von unseren Versicherten. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, wie in der Wirtschaftskrise, haben wir vielen unserer Versicherten durch Stundung ihrer Versichertenprämie helfen können. Wir nehmen die Kritik ernst und analysieren alle Vorwürfe im Detail. Daraus resultierende sinnvolle Vorschläge werden wir für Gesetzesänderungen aufgreifen und an das Sozialministerium herantragen.

derStandard.at: Laut SVA-Jahresbericht wird fast jeder fünfte SVA-Versicherte gemahnt und bei knapp jedem Zehnten, das sind immerhin 33.000 Menschen, wird versucht, die Beiträge per Gericht einzutreiben. Ist die Situation so schlimm?

McDonald: Man muss unterscheiden zwischen Exekutionsanträgen und tatsächlich durchgeführten Exekutionen. Von den 33.000 Exekutionsanträgen wird die Großzahl wieder eingestellt - es handelt sich um einen Formalakt, zu dem wir gesetzlich gezwungen sind, den der Versicherte durch die Kontaktaufnahme mit uns in der Regel aus der Welt schaffen kann. Durch das Einleiten und den Abschluss einer Ratenvereinbarung wird die Exekution wieder gestoppt. Zwischen Beitragsvorschreibung, Mahnung und Einleitung eines Exekutionsverfahrens sind drei Monate Zeit, um reagieren zu können.

derStandard.at: Was sagen Sie dazu, dass die SVA von den Bedürfnissen des alten Unternehmerbildes à la "Fabriksbesitzer" ausgehe, wie Kritiker oft meinen?

McDonald: Modernisierungen, Verbesserungen und Weiterentwicklungen finden in der SVA laufend statt, denn auch die Unternehmerschaft ist in einem ständigen Wandel. Wer hätte etwa gedacht, dass es einmal eine Arbeitslosenversicherung für Selbstständige geben wird, eine Zusatzversicherung für den Krankheitsfall oder eine Beitragsreduktion bei Umsatzrückgängen? All das sind Entwicklungen der letzten Jahre, und die nächsten Schritte sind schon in Verhandlung - etwa Verbesserungen beim Wochengeld-Bezug, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erleichtern.

derStandard.at: Wie gehen Sie mit den Kritikern der "Amici delle SVA" („Freunde der SVA") um, die über Social Media gegen die momentane gesetzliche Lage aufbegehren? Sie haben alleine auf Facebook bereits rund 1.500 Unterstützer und dadurch gehöriges Mobilisierungspotenzial. Sucht man hier das Gespräch?

McDonald: Wir sind im telefonischen Kontakt mit den Initiatoren der Gruppe, die hier berechtigt ihre Anliegen öffentlich machen. Manches ist sehr emotional, anderes aber durchaus analysierenswert. Mir ist es wichtig, die Anliegen der Gruppe ernst zu nehmen, denn sie vertritt berechtigte Anliegen, über die man reden muss. Sinnvolle Vorschläge werden wir, wie gesagt, an das Sozialministerium herantragen.

derStandard.at: Einige Kritiker bezeichnen die Pflichtversicherung in der SVA als EU-rechtswidrig. Die EU schreibt ja an sich Versicherungsfreiheit vor.

McDonald: Sozialversicherungsrecht ist Kompetenz der Mitgliedstaaten, die EU hat daher keine Kompetenz, Pflichtversicherung oder Versicherungspflicht zu regeln. Die Pflichtversicherung und damit die Zuständigkeit der Selbstständigen zur SVA wird durch den nationalen Gesetzgeber geregelt.

derStandard.at: Immer mehr Ihrer Mitglieder sind sogenannte Ich-AGs, die oft auf Werkvertragsbasis arbeiten und daher kein regelmäßiges Einkommen haben. Wird jedem Neukunden erklärt, wie das SVA-System funktioniert?

McDonald: Die SVA informiert Neu-Versicherte mit Informationsmaterial und diejenigen, die wollen, auch in persönlichen Erstgesprächen sehr genau über das System und die Zahlungsmodalitäten. Seit Beginn dieses Jahres informieren wir die Versicherten schriftlich zu Jahresbeginn über die zu erwartenden Beitragszahlen für das laufende Jahr. Damit versuchen wir die Kosten für den Einzelnen kalkulierbarer und übersichtlicher zu machen.

derStandard.at: Ging es dem Durchschnitts-SVA-Mitglied vor 20 Jahren besser als jetzt?

McDonald: Nein, im Gegenteil. Gerade in den letzten Jahren haben Wirtschaftskammer und SVA viel erreicht, um die soziale Absicherung für Selbstständige zu verbessern und die Beiträge möglichst zu senken. In der Pensionsversicherung wird die Mindestprämie sogar schrittweise auf die ASVG-Geringfügigkeitsgrenze abgesenkt. Bei geringen Einkünften und Umsätzen ist laut Kleinunternehmerregelung auch für Gewerbetreibende die Ausnahme von der Pflichtversicherung möglich.

derStandard.at: Gibt es für Sie noch Verbesserungspotenzial?

McDonald: Es gibt klarerweise einige Situationen, wo unserer Ansicht nach noch Handlungsbedarf beim Sozialministerium besteht. Dann nämlich, wenn Versicherte Einnahmeausfälle aufgrund von längerer Krankheit haben. Der Staat springt in solchen Fällen bei den Arbeitnehmern ein, gerade hier bedarf es auch für den Selbstständigen unterstützender Absicherungsmaßnahmen. Das haben SVA und WKO vom Sozialministerium bereits öfters eingefordert, bisher allerdings - in dieser Sache - erfolglos.

derStandard.at: Glauben Sie an die EPUs, oder liegt für Sie die Zukunft wieder in größeren Firmen?

McDonald: Österreich ist seit jeher das Land der Klein- und Mittelbetriebe, die Zahl der Klein- und Kleinstunternehmen ist beachtlich und wird in Zukunft eher steigen als sinken. Unsere Kleinstrukturiertheit warein  wichtiger Schutzwall in der Krise. In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten ist die Entwicklung unserer Gesellschaft, die Art, wie wir Arbeit und Familie vereinen, wie und wo wir arbeiten, nicht stehengeblieben. Die moderne Kommunikationstechnologie macht uns in vielen Branchen völlig ortsunabhängig, und das wirkt sich natürlich auf neue Selbstständigkeiten aus. (Hermann Sussitz, derStandard.at, 6.9.2011)