Als Reaktion auf die wachsende Zahl von Hasstiraden im Schutz der Internet-Anonymität haben mehrere auflagenstarke schwedische Zeitungen beschlossen, die Kommentarfunktion auf ihren Websites einzuschränken.
Das Boulevardblatt "Expressen" will alle Wortmeldungen vor der Veröffentlichung begutachten, und beim Konkurrenten "Aftonbladet" muss man sich für die Publikation eines Kommentars künftig über sein Facebook-Profil einloggen. Die renommierteste Tageszeitung des Landes, "Dagens Nyheter", schaffte die Kommentarfunktion vorerst gänzlich ab.
Vor allem Artikel zum Thema Einwanderung und Islam hatten Kommentarfelder in jüngster Zeit häufig zu verbalen Mülldeponien werden lassen. Anders Breiviks Attentate in Norwegen hatten das Problem verstärkt und zugleich schlaglichtartig beleuchtet. "Wenn man Breiviks verwirrtes Manifest liest, muss man konstatieren: Diese Gedanken finden sich in jeder schwedischen Tageszeitung wieder - in jedem Kommentarfeld, jeden Tag", erklärt "Aftonbladet"-Chefredakteur Jan Helin.
Noch bis vor kurzem hatten sich die meisten Websites damit begnügt, unerwünschte Kommentare erst nach der Veröffentlichung auszusortieren. Tage nach den Attentaten, am 26. Juli, sorgte Värmlands Folkblad mit der Schließung der Kommentarfunktion für Aufmerksamkeit. Mittlerweile hat laut Umfrage der Branchenzeitschrift "Medievärlden" mehr als die Hälfte der Zeitungen eine geänderte Kommentar-Policy. Unter den größeren Tageszeitungen lässt einzig "Göteborgs-Posten" noch anonyme Kommentare zu.
"Es gibt kein selbstverständliches Recht, bei Expressen Verunglimpfungen bestimmter Personen oder rassistische Behauptungen zu veröffentlichen", begegnet dessen Chefredakteur Thomas Mattson Vorwürfen, mit der "Vorsortierung" betreibe seine Zeitung Zensur.
In den Redaktionen sind die Veränderungen nicht unumstritten. Die Pflicht zur Anmeldung per Facebook bei "Aftonbladet" sei problematisch, findet Martin Aagård aus der Kulturredaktion des Blattes. Zumal bei sensiblen Themen wie bei Missständen an Arbeitsplätzen sei es wichtig, dass sich Betroffene ohne Angst vor möglichen Folgen anonym äußern könnten. (Anne Rentzsch aus Stockholm/DER STANDARD, Printausgabe, 6.9.2011)