Eine jüdische Tanzgruppe aus Novi Sad beim jährlichen Treffen der exjugoslawischen Juden in Opatija Ende August.

Foto: Standard/Wölfl

Sie verbindet eine pluralistische Weltsicht. Adelheid Wölfl hat "Bejahad" heuer besucht.

Tikun olam sei ein Gebet, um die Welt zu verbessern, sagt der Rabbi. Und ums Weltverbessern ginge es auch den Marxisten. Bloß würden die nicht an den zweiten Teil des Gebets glauben, wo es um das Königreich Gottes geht. Es ist Schabbat, und Rabbi Yitshak Asiel aus Belgrad feiert mit Juden aus ganz Exjugoslawien im Hotel Adriatic im istrischen Opatija. Der Rabbi weiß, dass viele der Leute bei dieser jährlichen sommerlichen Zusammenkunft eigentlich Tito-Jugoslawien nachtrauern, politisch eher links stehen, liberal sind und dass für sie Religion nur eine untergeordnete Rolle spielt. Tikun olam gilt aber für alle – zweiter Teil, hin oder her. "Es ist beeindruckend, wie viele Juden in einer Bewegung dabei sein wollen, die die Welt verbessert", sagt der Rabbi. "Und da haben die Marxisten ihren Beitrag geleistet."

Familientreffen an der Adria

Jedes Jahr, nun zum zwölften Mal, treffen Ende August ein paar hundert Juden in Opatija eine Woche zu der Veranstaltung Bejahad ("Gemeinsam") zusammen. Es ist eine Versammlung von Jugoslawien-Nostalgikern, die an die Idee eines multiethnischen Miteinanders wenigstens erinnern wollen. Es ist ein Familientreffen. Am Abend werden auf der Terrasse bosnische Volkslieder gesungen. Es ist ein Urlaub unter Freunden: Ältere Ehepaare, Bobos aus Mitteleuropa, Künstler aus Belgrad, tätowierte Bohemiens, Männer mit Kippa, elegante Bildungsbürger und schmähführende bosnische Jugendliche sitzen zusammen. Man genießt am Abend ein Jazzkonzert, sieht sich jüdische Filme an, diskutiert über Israel und erkundigt sich nach alten Bekannten. Bejahad ist der Versuch, jüdische Identität und Kultur zu stärken.

"Die Assimilation ist sehr vorangeschritten. Es gibt sehr wenig traditionelle Familien", sagt der 21-jährige Luka Woititz aus Maribor. "Ich werde mich aber nicht assimilieren. Ich bin ein Aschkenasi-Jude mit slowenischer Staatsbürgerschaft", meint der Informatik-Student. Er hat über Bejahad aus dem Internet erfahren. Woititz hat hier in Opatija das Gefühl unter Gleichgesinnten zu sein. Er ist über Facebook mit exjugoslawischen Juden seiner Generation, aber auch mit jungen Juden in Budapest und Warschau verbunden.

Die meisten Leute sind aus Belgrad, ein urbanes Publikum. Von den 300 Teilnehmern gehen höchstens zehn zu den täglichen Gebeten. Was verbindet die Leute hier? "Leider oft nur die Sprache", sagt Woititz, der außer Slowenisch fließend Kroatisch und Deutsch spricht. An den Bejahad-Tischen im Adriatic kann man neben Serbisch-Kroatisch-Bosnisch (BKS) auch Englisch, Hebräisch, Deutsch, Italienisch und Französisch hören. Die meisten hier sind das koschere Essen nicht gewohnt. Was verbindet die Leute eigentlich hier? "Die Vielfalt", sagt ein Mann am Nachbartisch. "In der fühlen wir uns am wohlsten."

Manche sind aus Israel, Frankreich und Wien nach Opatija gereist. Vor allem bosnische Juden sind im vergangenen Krieg (1992-1995) emigriert. Die meisten von ihnen leben nun in Spanien. Der spanische König hat sie aus historischem Verantwortungsgefühl eingeladen. Die Sepharden lebten ja bis zu ihrer Vertreibung im 15. Jahrhundert in Spanien. Die Sarajevoer Gemeinde war bis zur Kolonialisierung durch Österreich-Ungarn sephardisch.

6000 Juden in Ex-Jugoslawien

Heute leben in ganz Bosnien-Herzegowina vielleicht tausend Juden, in Kroatien sind es 2000, in Serbien 3000, in Mazedonien und Slowenien 120, in Montenegro und dem Kosovo ein paar Dutzend. Während der Balkankriege in den 1990er-Jahren kam es auch zu Friktionen in der Community. Aber man traf sich auch heimlich in Prag, Budapest und Pécs. 1999 organisierte der Zagreber Arzt Vladimir Šalamon dann erstmals Bejahad. Heuer lud Šalamon auch die Wiener und die Berliner Gemeinde ein. In Opatija referiert der Belgrader Autor Ivan Ivanji über die Juden in Wien. Auf der Terrasse malt der Sarajevoer Künstler Jakov Bararon, der nun in Wien lebt, hebräische Schriftzeichen auf weiches Treibholz aus der Adria. Im Konferenzsaal wirbelt eine Tanzgruppe aus Novi Sad über die Bühne, Jugendliche aus Belgrad spielen Golem. In Between Cities, eine Ausstellung über die geteilten Städte Jerusalem und Sarajevo, wird gezeigt.

In Jugoslawien lebten etwa 6000 Juden, es gab nur einen Rabbi. Aber man traf sich häufig. Im jüdischen Jugendklub in Sarajevo etwa wurde viel Theater gespielt, man stritt über Kapitalismus versus Sozialismus und fuhr zusammen auf Urlaub. Ab und zu kamen Lehrer aus Israel. Im blockfreien Jugoslawien pflegte man auch Kontakte zu den Gemeinden in Paris, Madrid und Warschau.

Bejahad zieht wieder Leute an, die neugierig auf andere sind. Die Anthropologin aus Weimar hat darüber im Internet gelesen. Der muslimische Arzt aus Sarajevo will hier den alten Geist spüren. Gerade das multireligiöse Sarajevo, ehemals "Jerusalem des Balkan" genannt, war nach dem Krieg 1945 Anziehungspunkt für die Überlebenden der Shoah. Doch seit dem Bosnienkrieg leben nur mehr 600 Juden in der Stadt.

"Alles was verloren war, kann man wiederfinden, wenn es wahrhaftig war" , sagt der bosniakische Schriftsteller Rusmir Mahmutćehajić. Er erinnert daran, wie viele Nationalitäten Anfang des 18. Jahrhunderts auf dem Balkan zusammenlebten, an die Ermordung der Juden im Zweiten Weltkrieg und die Ermordung der Muslime im letzten Krieg. "In Bosnien sind die Synagogen heute tote Muscheln. Das ist eine Lehre für die ganze Welt." Deshalb müssten die Menschen so sein wie "Federn in der Wüste, die beim leisesten Windstoß aufgehoben werden", sagt Mahmutćehajić. Ohne eine solche Sensibilität werde die Welt grotesk, meint der Muslim. Und die jüdische Gemeinde klatscht. (DER STANDARD, Printausgabe, 6.9.2011)