Die Schlagzeilen in den europäischen Qualitätszeitungen, der Ton der Kommentatoren und die jüngsten Umfragen sind Symptome grassierender Unzufriedenheit. Der deutsche Soziologe Ulrich Beck stellte kürzlich mit einem Anflug von Melancholie fest: "In jedem Fall hat die Finanzkrise eines bewirkt: Alle (auch die Experten und Politiker) sind in eine Welt katapultiert, die niemand mehr versteht."

Die Angst vor der Zukunft, gekoppelt mit dem Unmut der Bürger über die politischen Akteure und die Finanzjongleure, ist allgegenwärtig. Rund 80 Prozent der Deutschen rechnen damit, dass der schlimmste Teil der Krise noch bevorsteht und drei Viertel der Befragten sehen den Wohlstand durch die Euro- und Schuldenkrise bedroht. (Ähnliche Ergebnisse zeigt eine Umfrage der Bertelsmann Stiftung über Österreich.)

Fast 60 Prozent der Deutschen haben Angst um ihr Erspartes. Fast drei Viertel der deutschen Bürger stimmen der Aussage zu, dass über die Zukunft des Euro letztlich die Finanzmärkte und nicht die Politik entscheiden. Nichtsdestoweniger glaubt eine Zweidrittelmehrheit, dass die Regierung den Überblick verloren und bisher das Falsche getan habe.

Die Brisanz dieser Aussagen liegt freilich darin, dass, verglichen mit der Lage in den meisten Eurostaaten - von Griechenland und Portugal bis Spanien und Italien - die wirtschaftliche Position Deutschlands noch immer relativ gut ist. In einem Aufsehen erregenden, unbarmherzigen Artikel zieht aber der Literaturwissenschafter Karl Heinz Bohrer in der Zeitschrift Merkur die Schlussfolgerung: "Offenbar schließt wirtschaftliche Potenz politische Impotenz nicht aus... Von der ökonomischen Supermacht kommt keinerlei politisches Zeichen mehr. Besonders gefährlich ist, dass sich die provinzielle Selbstgenügsamkeit mit Motiven des alten antiwestlichen, das heißt antipolitischen und antiparlamentarischen Ressentiments verbindet."

Einen Hoffnungsschimmer bedeutet zumindest die Tatsache, dass 65 Prozent der Deutschen glauben, dass ihr Land die Krise ohne die EU nicht so gut bewältigt hätte. Allerdings sagt jeder Zweite, wir kämen auch allein zurecht... Es geht freilich nicht nur um die Stimmung in Deutschland. Jeder fünfte EU-Bürger unter 25 Jahren ist arbeitslos. In Spanien erreicht die Jugendarbeitslosigkeit 46 Prozent und in Griechenland 40 Prozent, in Italien und Portugal 27 Prozent, in Frankreich 23 Prozent und in Großbritannien 20 Prozent. Die grassierende Jugendarbeitslosigkeit bedroht die europäische Idee und auf lange Sicht - im Kampf der Nationalismen und rechten wie linken Populismen - sogar die Zukunft der Demokratie in Europa.

Man mag sich ausmalen, wie die jungen arbeitslosen "Wutbürger" auf die sich abzeichnenden verschärften Konflikte zwischen den "reichen" und den "armen" Eurostaaten und den dadurch ausgelösten Ausbruch nationaler Egoismen reagieren könnten. Die Kommunikationsrevolution dramatisiert die Folgen der Ungleichheit im modernen Kapitalismus und bereitet damit den Boden für den Wiederaufstieg jener "furchtbaren Simplificateure", vor denen bereits Jacob Burckhardt, der große Historiker des 19. Jahrhunderts, gewarnt hatte. (DER STANDARD, Printausgabe, 6.9.2011)