Buenos Aires - Die argentinische Justiz will erstmals Fälle sexuellen Missbrauchs in einem der größten Folterzentren während der Militärdiktatur zwischen 1976 und 1983 untersuchen. Sexuelle Übergriffe in der berüchtigten Marine-Techniker-Schule ESMA in Buenos Aires seien eine "systematische Praxis" der staatlichen Unterdrückung von Oppositionellen gewesen, sagte der Richter Sergio Torres bei der Eröffnung der Untersuchung am Montag.
Er kündigte eine gesonderte Untersuchung von zunächst mindestens 20 Fällen, darunter Vergewaltigung und andere Fälle sexuellen Missbrauchs, an. Bisher wurden sexuelle Übergriffe in dem Gefängnis stets mit Ermittlungen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zusammengefasst, etwa im Rahmen von Prozessen wegen Folter.
In der ESMA sollen durch Regime-Anhänger rund 5000 Menschen misshandelt worden sein. Die Marineschule diente dem Regime nicht nur als Ausbildungsort, sondern auch als Geheimgefängnis für Oppositionelle. Zahlreiche politische GegnerInnen sollen dort betäubt und anschließend nackt aus einem Flugzeug geworfen worden sein.
Nach dem Sturz des Regimes wurde das Gelände erneut zur Rekrutenausbildung genutzt, erst 2004 wurden anlässlich des Jahrestages des Militärputschs einige Gebäude in eine Gedenkstätte umgewandelt.
Insgesamt wurden nach Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen bis zu 30.000 Menschen während der argentinischen Militärdiktatur gefoltert und ermordet oder verschwanden spurlos. (AFP, red/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7.9.2011)