Barbara Kolm ortet zu hohe Sozialausgaben, Karin Küblböck warnt vor dem Nachtwächterstaat.

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Der Gini-Koeffizient misst die Ungleichheit im Staat.

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"Der Haushalt lässt sich über Vermögenssteuern nicht sanieren", sagt Kolm.

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"Der Staat muss kompensieren, was der Markt nicht mehr leistet", sagt Karin Küblböck.

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Einkommensverteilung im internationalen Vergleich.

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Standard: Milliardäre in den USA, Frankreich und Deutschland rufen dazu auf, sie höher zu besteuern. Der prominenteste ist Investor Warren Buffett. Er meinte, er zahle weniger Steuern als seine Sekretärin. Was denken Sie über diese Aufrufe?

Kolm: Grundsätzlich muss zwischen den USA und Europa unterschieden werden. In Amerika hat eine besondere Form der Philanthropie Fuß gefasst: Viele wohlhabende Menschen nehmen Aufgaben wahr, die in Europa der Staat erfüllt. Wir rufen immer: "Die Reichen sollen mehr zahlen." Dabei sollte der Staat den Wohlhabenden die Möglichkeit geben, philanthropisch tätig zu werden, ihre Steuerlast reduzieren und ihnen die freie Wahl lassen, in das eine oder andere Projekt zu investieren.

Küblböck: Das sehe ich anders. Die Erkenntnis, dass die ungerechte Verteilung nicht nur moralisch, sondern auch wirtschaftlich ein Problem ist, beginnt sich durchzusetzen. In den vergangenen 30 Jahren ist die Vermögenskonzentration bei den Reichen gestiegen, während die Verteilung immer schlechter funktioniert. Das ist der Grund, warum derzeit in vielen Ländern junge Menschen auf die Straße gehen: Sie sehen keine Lebensperspektive. Da reicht es nicht aus, wenn einige sagen: "Okay, wir spenden etwas mehr und sind ein bisschen philanthropisch tätig."

Standard: Kanzler Faymann schlägt eine Vermögenssteuer für die 80.000 reichsten Österreicher vor. Kritiker befürchten eine Kapitalflucht. Zu Recht?

Küblböck: Der Vorschlag ist sinnvoll. Ein großer Teil des Vermögens, das betroffen wäre, ist in Immobilien angelegt. Das kann nicht flüchten. Österreich ist eines der OECD-Länder mit der niedrigsten Vermögensbesteuerung. Das liegt auch an der niedrigen Grundbesteuerung. Ein Faktor, der die Einführung erschwert, ist das Bankgeheimnis - Finanzvermögen wird nicht deklariert. Gleichzeitig ist Österreich das Land mit der fünftgrößten Millionärsdichte der Welt. Bei diesen Zahlen ist es nicht einzusehen, warum die Vermögenssteuern so niedrig sind.

Kolm: Der Vorschlag ist nicht zielführend. Österreich ist bereits ein Hoch-Steuer-Land. Zehn Prozent der Vermögenden schultern 60 Prozent des Steueraufkommens, sie leisten einen Beitrag fürs Allgemeinwohl - was wollen Sie mehr? Was Sie vergessen, Frau Küblböck: Ein Drittel der sogenannten Superreichen in Österreich sind aus dem Ausland gekommen, weil bei uns der Standort für Vermögende attraktiv ist. Sie bezahlen Steuern, Abgaben und stiften Nutzen. Kapital hat Flügel, und es wird sich verabschieden, sobald die Steuern steigen.

Standard: Wäre eine Reichensteuer aber nicht allein aus Fairnessgründen geboten?

Kolm: Der Haushalt lässt sich nicht über Vermögenssteuern sanieren. Notwendig sind eine schlankere Verwaltung und Strukturreformen. Ich sehe das Problem woanders: Studien belegen, dass Österreich beim Faktor Produktivität im europäischen Vergleich weit hinten liegt. Der Faktor Kapital ist bei uns zu unrentabel. Man sollte sich daher von der Diskussion über mehr Gerechtigkeit verabschieden. Es sollte darum gehen, Österreich wettbewerbsfähiger zu machen. Das geht aber nicht durch höhere Steuern, sondern durch mehr Produktivität. Ein anderes Staatsbild wird notwendig: Man muss aus dem umverteilenden Staat einen ermöglichenden machen.

Küblböck: Ihren Staat, den Sie da beschreiben, können sich nur Reiche leisten. Zu glauben, die Unternehmen müssen nur genug Gewinne machen und diese dann reinvestieren, damit es allen besser geht, ist falsch. Dieser Zusammenhang stimmt nicht mehr: Bis zur Krise sind die Gewinne der Unternehmen enorm gestiegen, die Investitionsquote ist aber zurückgegangen. Die Gewinne sind nicht in die Realwirtschaft, sondern in die Finanzmärkte geflossen. Die Produktivität ist in Österreich sehr wohl gestiegen: Seit 1994 um 21 Prozent, die Reallöhne stagnieren seit Jahren.

Standard: Manche Fragen sich: Kann der Staat mit mehr Geld überhaupt etwas anfangen?

Kolm: Die Krise, die wir jetzt erleben, ist eine Krise des Wohlfahrtsstaates, also der vielen Sozialausgaben, der Staatsverschuldung. Man braucht sich dazu nur die Entwicklung anzusehen: 1870 lag die Staatsverschuldung in Österreich bei zehn Prozent des BIP, 1960 waren es 35; jetzt sind wir jenseits der 70-Prozent-Marke.

Küblböck: In Österreich hat die Verschuldung vor der Krise den Maastricht-Kriterien entsprochen. Durch die Krise ist sie um 14 Prozent gestiegen. Das ist nicht passiert, weil der Staat verschwenderisch ist, sondern weil er eingesprungen ist - etwa um Banken zu retten. Fakt ist, der Staat kompensiert, was der Markt nicht leisten kann. Derzeit sind zwölf Prozent der Menschen in Österreich armutsgefährdet, ohne Sozialtransfers wären es 40 Prozent.

Standard: Wollen Sie eine Wiedereinführung der Erbschaftssteuer?

Kolm: Dafür gibt es keinen Grund.

Küblböck: Das erstaunt mich jetzt: Gerade aus einer liberalen Haltung heraus müssten Sie doch dafür plädieren. Erben hat ja rein gar nichts mit Leistung zu tun ...

Kolm: ... es geht um Vermögen, das vorher schon besteuert wurde ...

Küblböck: ... Lohneinkünfte werden auch mehrfach besteuert, etwa durch die Mehrwertsteuern. Man sieht auch, wie konzentriert in Österreich Vermögen sind: 50 Prozent der Erbschaften gehen an zwei Prozent der Haushalte. Eine Erbschaftssteuer wäre wichtig, um Gerechtigkeit zu schaffen.

Kolm: Genau damit würden Sie jenen Menschen schaden, die sich durch lange, harte Arbeit ein Vermögen aufgebaut haben, um es an ihre Kinder und Kindeskinder weiterzugeben. Das ist ineffizient. (András Szigetvari, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7.9.2011)