
Vizekanzler Michael Spindelegger strebt eine "Versachlichung" an, Kanzler Werner Faymann macht dagegen weiterhin Druck für eine Vermögenssteuer.
Der Kanzler sprach das Gerücht gleich selbst an. "Es gibt niemanden in der Bundesregierung, der Gedanken von Neuwahlterminen einbringt" , versicherte Werner Faymann am Dienstag nach dem Ministerrat. In den vergangenen Tagen wurde eifrig spekuliert, die Regierung könnte aufgrund unüberbrückbarer Differenzen - Stichworte Vermögenssteuer und Wehrpflicht - früher als geplant Wahlen ausrufen. Genauer gesagt: Die ÖVP hatte dies befürchtet.
Die SPÖ strebe Neuwahlen an, hieß es in schwarzen Kreisen. Und diese Vermutung wurde fleißig nach außen getragen. Das Gerücht genährt hat Faymann selbst. Sein forciertes Themensetting und die Aggressivität, mit der er nach seinem Sommerurlaub zur Sache ging, löste beim Koalitionspartner schwere Verunsicherung aus.
In der ÖVP war man auf die Vehemenz, mit der Faymann plötzlich wieder auf eine Vermögenssteuer drängte und die Abschaffung der Wehrpflicht forderte, nicht eingestellt. Und so sah sich Parteichef und Vizekanzler Michael Spindelegger mangels eigener Themen zum Auftakt der Herbstarbeit gleich einmal in die Defensive gedrängt. Zu allem Überdruss brach auch noch die Telekom-Affäre auf, die am Montag mit dem Rücktritt Wolfgang Schüssels einen neuen Höhepunkt erreichte. Alles scheint gegen die ÖVP zu laufen. Das registrierte man auch in der SPÖ. Und tatsächlich wurde dort über Neuwahlen nachgedacht.
Die Einschätzung: Es läuft sehr gut für die SPÖ, die Themenlage stimmt, der Koalitionspartner ÖVP tut sich extrem schwer, die Popularitätskurve weist nach oben. Aber: Es könnte noch besser laufen. Ein Nationalratsabgeordneter zieht angesichts der jüngsten Umfragen (28 Prozent) einen alpinistischen Vergleich: "Einen Dreitausender haben wir noch nicht erklommen."
"Faymann ist alles andere als ein Hasardeur" , gibt ein weiterer Sozialdemokrat zu bedenken und meint: "So taufrisch sind die Themen Vermögenssteuer und Berufsheer auch nicht, um jetzt plötzlich zu sagen: ,Es reicht!‘" Und dass eine Partei, die sich mit diesem Schlachtruf unvorbereitet in einen Wahlkampf stürzt, fürchterlich scheitern kann, habe die ÖVP anno 2008 unter Wilhelm Molterer eindrucksvoll bewiesen.
Was nach Meinung der Skeptiker in der Partei noch gegen Neuwahlen spricht: Im Gegensatz zu anderen, kriselnden europäischen Staaten gehe es Österreich nicht so schlecht, um den Wählern eine Richtungsentscheidung als unumgänglich zu verkaufen. Überdies habe ein entscheidendes Schaltzentrum, die Wiener SPÖ, derzeit keine Interesse an politischen Wellen: Bürgermeister Michael Häupl will die heikle Machtübergabe im Rathaus in Ruhe vorbereiten.
Außerdem ist eine Alternative nicht in Sicht. Von Rot-Grün-Orange träumt maximal eine kleine Minderheit, sofern sich diese Variante überhaupt rechnerisch ausginge. Bliebe wieder nur eine Koalition mit der ÖVP - dann aber auf verbrannter Erde.
Und so spricht einiges dafür, dass die SPÖ erst einmal auf einen prolongierten Aufwärtstrend spekuliert - zumal sich nicht nur die ÖVP, sondern auch FPÖ und Grüne schwertäten, mit ihren Themen durchzukommen oder überhaupt welche zu finden.
In der ÖVP wird das Neuwahlgerücht mit Angst-geweiteten Augen erzählt. Die Partei hat sich vom Obmannwechsel noch nicht erholt, die Themen greifen noch nicht, Parteichef Michael Spindelegger hat seine Ecken und Kanten noch nicht gefunden. Über den Sommer habe man zwar Themen erarbeitet, mit denen man nun in die politische Auseinandersetzung ziehen will, die Neupositionierung von Spindelegger habe aber noch nicht gegriffen.
Am Montag trafen sich Faymann und Spindelegger zu einem Vier-Augen-Gespräch, um die Differenzen auszuräumen. Das Ergebnis: Zur Vermögenssteuer soll eine gemeinsame Arbeitsgruppe eingerichtet werden, auf dass die Argumente ganz sachlich bleiben. (Gerald John und Michael Völker, DER STANDARD, Print-Ausgaben, 7.9.2011)