Tanja Gesell entwickelt Simulationen von Biodaten.

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Tanja Gesell sagt, sie "formatiert" sich gerade neu. Sie ist natürlich keine Festplatte, sondern eine Wissenschafterin, für die die Zukunft einige Änderungen bringen wird. Und das liegt nicht nur daran, dass sie im Jänner 2012 ein Kind erwartet, sondern vor allem an ihrer Arbeit.

Derzeit hat sie eine Postdoc-Stelle an den Max F. Perutz Laboratories in Wien, wo sie schon seit 2006 als Bioinformatikerin tätig ist und eine Fülle von Daten aus der Molekularbiologie in Simulationen sichtbar macht. Wie wird sie aber in Zukunft ihre beiden abgeschlossenen Studien - Biologie und Kunst - in Verbindung bringen? Bisher ist ihr das wohl gelungen. Und zwar nicht, weil sie sich genötigt fühlte, ein Projekt zu finden, in dem sie Kunst und Wissenschaft verknüpft, "sondern weil ich in meiner Intuition durch die künstlerische Ausbildung profitiere." Wittgenstein-Preisträgerin Renée Schroeder schwärmt heute noch von ihrem Zugang zur Aufgabe, Strukturähnlichkeiten unter RNA-Sequenzen zu finden. Tanja Gesell machte aus 108 Sequenzen ein Memory-Spiel.

Begonnen hat alles aber mit einer Enttäuschung. Das Biologie-Studium, für das sich die 1973 geborene Düsseldorferin entschieden hatte, war ihr zu wenig "ganzheitlich", weil "wir anfangs eigentlich nur Pflanzen zerschnitten haben". Den Blick auf das große Ganze wollte sie dann durch den Wechsel an die Kunstakademie in ihrer Heimatstadt finden. Begegnungen mit der tschechischen Bildhauerin Magdalena Jetelová, der deutschen bildenden Künstlerin Rosemarie Trockel, dem österreichischen Kybernetiker Oswald Wiener und anderen schärften ihr Verständnis für Räume und Strukturen. Wiener war es auch, der sie wieder zur Biologie, genau genommen zur Neurobiologie, zurückführte.

Sie setzte ihr unterbrochenes Studium fort, freilich ohne der Kunst den Rücken zuzukehren. "Ich studierte beides. Am Vormittag hörte ich, was eine Sehkaskade ist, am Nachmittag, was das Sehen insgesamt bedeutet." Da waren ihr aber noch zu viele "Freiheitsgrade" im Fach, weshalb sie sich der Bioinformatik zuwandte. "Hier gibt es diskrete Zeichen, mit denen ich modellieren kann." Heute sieht sie ihre Wissenschaft als "Tool", um auch philosophische Fragen stellen zu können: "Wie schaut die Struktur im täglichen Denken aus?"

Biologie und Kunst, "meine beiden Räume", zu studieren, empfindet sie heute rückblickend als Luxus. "Ich habe zehn Jahre dafür gebraucht und mich dabei unter anderem mit Kellnern selbst finanziert." Heute hätten StudentInnen keine Zeit, um derart in die Tiefe zu gehen. "Was sehr schade ist." Sie steht insgesamt Entwicklungen an den Universitäten eher kritisch gegenüber. Man suche den schnellen Abschluss, die Wissenschaft brauche mehr denn je Drittmittelfinanzierung, "weshalb sie oft zu stark an den Auftraggeber und an die Ergebnisse denkt und zu wenig an den Weg dorthin."

In Europa, wo sie Kultur und historische Tiefe schätzt, komme "ein hierarchisches Denken" dazu. Das hat sie zum Beispiel in Harvard, wo sie gerade als Stipendiatin der Genomforschung Austria GEN-AU war, "nicht in dieser Form kennengelernt." In den USA seien auch die Grenzen der Fächer durchlässiger als hierzulande, was Tanja Gesell natürlich gefallen muss. Kann also gut sein, dass das Ergebnis der "Formatierung" eine Übersiedlung ist. (Peter Illetschko/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7.9.2011)