
Jan-Egbert Sturm ist Professor für Makroökonomie der ETH Zürich
Der Schritt der Schweizerischen Nationalbank könnte die Wirtschaft ankurbeln, glaubt Ökonom Jan-Egbert Sturm. Warum die Risiken der Maßnahme gering sind, erklärt er Lukas Sustala.
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Standard: Die Schweizerische Nationalbank hat der Aufwertung des Frankens gegen den Euro mit einer starren Grenze Einhalt geboten. Die richtige Entscheidung?
Sturm: Absolut. Die Nationalbank hat zuletzt versucht, den Franken über andere Methoden, de facto über die Erhöhung der Geldmenge, zu drücken. Aber Anfang der Woche, als der Franken wieder Richtung 1,10 gegen den Euro ging, war klar, dass es eine relativ radikale Maßnahme braucht. Die untere Grenze von 1,20 gegen den Euro bricht dem Spekulationsmotiv das Genick. Es gibt keinen Grund mehr, um auf eine Aufwertung des Schweizer Franken zu spekulieren. Wer weiter Franken kaufen möchte, macht das, weil er eine sichere Währung haben möchten, nicht weil man Rendite will. Denn die Zinsen in der Schweiz liegen bei null.
Standard: Hat der hohe Frankenkurs großen Schaden angerichtet?
Sturm: Im Allgemeinen beeinflussen die Währungsbewegungen die Exporte nicht massiv. Aber die Aufwertung, die wir im letzten Halbjahr durchgemacht haben, ist einmalig. Das haben wir in der Geschichte noch nicht erlebt.
Standard: Schlittern die Exporteure daher in Probleme?
Sturm: Wir sehen vermehrt, dass die Unternehmen in Probleme geraten. Im Tourismusbereich ist das bereits evident. In anderen Sektoren sieht man, dass die Margen wegen des Frankenkurses sehr tief sind. Dazu kommt jetzt, dass die Nachfrage schwächer wird, weil sich die globale Konjunktur verlangsamt. Damit sind die Probleme schon vorprogrammiert. Es gibt einen Konsens in der Schweiz, dass uns in den Herbstmonaten in den Exportsektoren einige Probleme bevorstehen.
Standard: Ist die Nationalbank der kleinen Schweiz wirklich in der Lage, sich gegen das ausländische Kapital zu stemmen?
Sturm: Theoretisch kann die Notenbank die eigene Währung unendlich drücken. In der Praxis gibt es irgendwann Probleme, doch ich sehe, dass die in weiter Ferne sind. Solange die SNB nicht irgendwann wieder nachgibt, sondern das Level von 1,20 gegen den Euro hält, treten auch kaum Verluste auf. Dann müssen die Papiere auf der Bilanz nicht abgewertet werden. Eine technische Insolvenz ist daher weit entfernt.
Standard: Sind die aktuellen Maßnahmen nicht riskant? Immerhin flutet die SNB ja die Märkte mit Franken, droht da Inflation?
Sturm: Man muss es eher umgekehrt sehen. Die Schweiz ist in einem Prozess drin, in dem die Deflation immer wahrscheinlicher wird. Stellen Sie sich vor, was mit den Importpreisen passiert nach der jüngsten Aufwertung der Währung. Die werden massiv fallen. Ich halte es aber für wichtiger, dass die Fixierung bei 1,20 die Planungssicherheit der Exporteure erhöht. Das ist ein sehr großes Plus. Das könnte auch eine Impulsfunktion für die Investitionen der Unternehmen haben.
Standard: Damit der Run der internationalen Investoren auf den Franken aufhört, müssten aber andere Krisenherde gelöscht werden.
Sturm: Richtig: Die Probleme, die den starken Schweizer Franken verursacht haben, liegen nicht bei der Schweiz. Sie liegen im Rest der Welt, in den USA und Europa. Die kann die SNB nicht beeinflussen. Das Problem Europas ist eine Krise der wirtschaftspolitischen Strukturen. Es ist keine Krise der Industrie. Die Institutionen, die sich Europa aufgebaut hatte, scheinen nicht das zu bringen, was man erhofft hatte. Es ist eine große Tragödie, dass man jetzt um einen Ausweg aus der Krise ringen muss. Aber es muss ihn geben, und er wird für manche peinlich sein. Derzeit deutet vieles auf Eurobonds hin. Aber ich bin skeptisch, ob das der richtige Weg ist.
Standard: Manche Ökonomen kritisieren, dass sich die Schweiz mit dem aktuellen Schritt zu sehr an Europa bindet. Zu Recht?
Sturm: Man muss da realistisch sein. Die Schweiz liegt mitten in Europa. Egal, wohin Sie blicken, überall ist Europa. In der Vergangenheit war die Korrelation der Konjunktur mit der europäischen immer sehr hoch, es wäre eine Illusion zu glauben, dass wir uns von Europa lösen könnten. (Lukas Sustala, DER STANDARD; Print-Ausgabe, 7.9.2011)