Peter Balazs, Start-Preis- Träger 2011, arbeitet an neuen akustischen Modellen in der Signalverarbeitung. Die können auch der Verbrechensaufklärung dienen.

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Ein Gefühl von Taubheit überrumpelt die Wahrnehmung mit einem Schlag, sobald man das Labor betritt - als wären die Ohren plötzlich mit Watte gefüllt. Die noppenförmigen Schaumstoffpaneele, die den fensterlosen Raum im Keller des Instituts für Schallforschung der Akademie der Wissenschaften auskleiden, schlucken so gut wie jedes Echo. Die eigene Stimme, jedes Geräusch bekommt einen seltsam gedrückten Klang.

Ein Bogen aus 22 Lautsprechern, der sich über einem Drehstuhl spannt, gibt dem Raum die Aura einer Kommandozentrale aus einem Science-Fiction-Film. "Hier werden die Filterwirkungen des Körpers, also von Kopf, Ohr und Torso gemessen", klärt Peter Balazs auf. "Denn der Körper beeinflusst, wie der Schall wahrgenommen wird."

Um diesen Effekt zu messen, bekommt die Versuchsperson, die auf dem computergesteuerten Drehstuhl sitzt, ein Mikrofon ins Ohr gesteckt. Dann senden die Lautsprecher Pfeiftöne und andere Signale aus. Um zu testen, wie der Schall von verschiedenen Richtungen aus aufs Ohr trifft, dreht sich der Stuhl.

"Ob der Schall von rechts oder von links kommt, ist viel leichter zu unterscheiden, als ob er von oben oder unten bzw. von vorn oder hinten kommt", sagt Balazs. Um zu testen, wie gut ein Signal lokalisiert werden kann, bekommen die Versuchspersonen Kopfhörer und eine Brille, auf deren Gläsern ein virtueller Raum zu sehen ist. Mithilfe einer Plastikpistole zielen die Testpersonen auf die Stelle, aus welcher der Schall kommt.

Bessere Tonqualität 

Die Ergebnisse dieser Messungen helfen bei der Weiterentwicklung von Cochlea-Implantaten - Hörgeräten, die im Innenohr sitzen. "Genau zu unterscheiden, woher der Schall kommt, ist aber auch bei Computerspielen wichtig", fügt Balazs hinzu. Der Mathematiker trägt mit seiner Forschungsarbeit dazu bei, dass die Messungen, bei denen sich die Versuchspersonen kaum bewegen dürfen, schneller ablaufen und genauer werden.

Hauptsächlich aber feilt er an neuen Methoden der Signalverarbeitung, die bessere Tonqualität nicht nur für Hörgeräte, sondern auch für Handys und MP3 versprechen oder auch die Messung der Wirkung von Lärmschutzwänden verbessern. Der Schallforscher wurde kürzlich mit einem der begehrten Start-Preise für Nachwuchsforscher ausgezeichnet. Insgesamt 1,2 Millionen Euro stehen ihm damit in den nächsten sechs Jahren zur Verfügung. "Das klingt nach viel, aber ich kann damit gerade dreieinhalb Stellen - Postdocs und einen Dissertanten - finanzieren", sagt er.

In seinem Start-Projekt "Flame" (Frames and Linear Operators for Acoustical Modeling and Parameter Estimation) geht es darum, die Mathematik näher an die Akustik zu bringen. "Akustische Modelle haben oft wenig mathematischen Hintergrund", meint Balazs. Als Mathematiker hat er ein Problem mit Ungenauigkeiten - und die sind häufig in der Akustik.

In seinem Büro im Wiener vierten Bezirk, dessen Wände Bücherschränke und eine Tafel voller Formeln schmücken, demonstriert Balazs, was er meint. Am Computer ertönt "Jump" von Van Halen, visualisiert durch eine bunte Fläche aus übereinandergelagerten Punkten und Strichen, die für die einzelnen Instrumente und Stimmen stehen - genannt Zeitfrequenzdarstellung. "Man kann ein einzelnes Signal nicht einem ganz genauen Zeitpunkt und einer ganz bestimmten Frequenz zuordnen", erklärt Balazs. "Es ist wie in der Quantenphysik, es gibt immer eine gewisse Ausdehnung."

Unschärfen herausfiltern

Hier kommt das Frame-Konzept ins Spiel - eine mathematische Methode, die eine bessere Darstellung trotz dieser Unschärfe ermöglicht. Frames zerlegen den Verlauf von Tonsignalen in einzelne Teile. Sie erlauben etwa, Schallkomponenten herauszufiltern, die das menschliche Ohr ohnehin nicht wahrnehmen kann, wie Balazs anhand von Jump demonstriert. Mit dem Ziel, das Frame-Konzept von der Theorie in die Praxis überzuführen, betritt der Forscher wissenschaftliches Neuland.

In einem soeben abgeschlossenen Projekt, das vom Wiener Wissenschafts- Forschungs- und Technologiefonds WWTF gefördert wurde, haben Balazs und sein Team bereits eine Open-Source- Toolbox entwickelt, die Anwendern aus den verschiedensten Bereichen ermöglichen soll, Umgebungsgeräusche besser aus Schallsignalen herauszufiltern, beispielsweise den Verkehrslärm beim Telefonieren.

In seinem Start-Projekt wird der ehemalige Tontechniker und langjährige Schlagzeuger weiter an neuartigen akustischen Modellen arbeiten - die etwa für die Aufklärung von Verbrechen nützlich sein können. "Auf dem Handy geführte Gespräche sind vor Gericht oft ein Problem, da sich die Qualität des Sprachsignals verändert, je nachdem wie viele Menschen gerade im Netz telefonieren", schildert Balazs. Methoden zur Entstörung der Signale könnten die Erkennung des Sprechers erleichtern.

In jedem Fall geht es um Feinarbeit - "man muss jeden Fehler ausschließen", sagt Balazs, der bekennt: "Ich bin ein i-Tüpfel- Reiter." (DER STANDARD, Printausgabe, 07.09.2011)