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Fischer berät Konzerne wie Rewe in Sachen Nachhaltigkeit.

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Wien - Nicht die Terroranschläge des 11. September 2001 hätten die Welt verändert, seine einstige Einschätzung sei falsch gewesen, sagte Joschka Fischer gestern, Dienstag, in Wien vor Journalisten. Was die Welt wirklich verändere, sei der Aufstieg der Schwellenländer. Die wachsende Weltbevölkerung wolle zurecht höhere Lebensstandards. "Unsere sind der Maßstab." Auf dramatisch wachsende Nachfrage mit nachhaltigen Strukturen zu reagieren, sei größte Herausforderung. Es gelte Antworten darauf zu finden, wie sich das Vorhandene auf mehr Köpfe verteilen lasse.

Der frühere deutsche Außenminister berät seit dem Ausstieg aus der Politik der Grünen Konzerne in Sachen Nachhaltigkeit. Der Lebensmittelhändler Rewe ist einer seiner Klienten. Fischer verwehrt sich gegen die Kritik, dass mit grüner Farbe gearbeitet werde: Angesichts der drohenden Ressourcenknappheit sei substanzieller Wandel das Gebot der Stunde. Die Politik sei dabei nicht weit gekommen, "es wird die Wirtschaft dazu brauchen". Die EU-Politik per se sieht Fischer nicht im Weg stehen - 80 Prozent des Unfugs passiere immer noch auf nationaler Ebene.

Das Bedürfnis der Kunden nach ethisch und ökologisch vertretbaren Produkten sei auch in der Krise gewachsen, sagte Frank Hensel, Rewe-Österreich-Chef. Bei Bio etwa sei der Umsatz in den vergangenen zwei Jahren um elf Prozent gestiegen. Nur auf niedrige Preise zu setzen, sei falsch. Billig allein zwinge zu Abstrichen und provoziere neue Lebensmittelskandale.

Rewe verweist auf die konzerninterne Reduktion von Treibhausgasen, höhere Versorgung mit eigenem grünen Strom, energieeffizientere Filialen und weniger Einsatz von Plastikverpackungen. Für Grün-Politiker sei es früher ein Traum gewesen, dass Bio in jedem Supermarkt Platz finde. "Heute ist es Realität", sagt Fischer. Österreich sei bei nachhaltigen Themen weiter als Deutschland. "Wir können uns einiges abkupfern."

Österreichische Interessensvertreter sehen die Nachhaltigkeitsoffensiven der Handelsketten differenzierter. "Konsumenten wollen Nahrungsmittel, die sie mit gutem Gewissen kaufen können", ist sich Michael Blass, Vorsteher der Lebensmittelindustrie, mit Hensel einig. Drehe der Handel jedoch zugleich Herstellern die Luft zum Atmen ab, sei es mit Nachhaltigkeitsforen wie bei des Kaisers neuen Kleidern: "Es ist nichts dran."

Jeder Konzern mache sich heute seine eigenen Standards und erkläre, sie seien die besten, meint Wolfgang Pirklhuber von den Grünen, was legitim sei, aber zu Zertifikatedschungel führe. Die Politik müsse für einheitliche Bewertungskriterien sorgen. Intransparent sei nach wie vor, wie viel Geld bei Bauern und Produzenten bleibe. "Können sie davon leben? Das ist die spannende Frage." (Verena Kainrath, DER STANDARD; Print-Ausgabe, 7.9.2011)