Freiheitsentziehung, falsche Beweisaussage, Urkundenunterdrückung und Missbrauch der Amtsgewalt: Die Vorwürfe gegen die SOKO-BeamtInnen, die gegen TierschützerInnen ermittelten, waren schwer. Die Korruptionsstaatsanwaltschaft (KStA) hat dennoch umgehend die Verfahren eingestellt. Aus diesem Grund wurden nun vier Fortführungsanträge von Seiten ehemaliger Angeklagter im Tierschützerprozess gestellt. Das teilte der ehemalige Erstangeklagte Martin Balluch, Obmann des Vereins gegen Tierfabriken (VgT), bei einer Pressekonferenz am Mittwoch in Wien mit.
Am zweiten Mai diesen Jahres wurden alle 13 angeklagten TierschützerInnen freigesprochen. Der Freispruch ist noch nicht rechtskräftig, da er von Richterin Sonja Arleth noch nicht schriftlich ausgefertigt wurde. Erst kürzlich wurde ein Verfassungsschutzbericht veröffentlicht, der dem VgT und anderen Tierschutzvereinen vorwarf, kriminelle Straftaten zu setzen. Das steht jedoch im klaren Widerspruch zum Freispruch. Deshalb brachte der VgT zusätzlich zu den Fortführungsanträgen eine Anzeige gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) wegen übler Nachrede, Verleumdung und Amtsmissbrauch ein.
Versteckte verdeckte Ermittlungen
Vergangenen November wurde bekannt, dass die Polizei ab 2007 eine verdeckte Ermittlerin in den VGT eingeschleust hatte. Die Ermittlungen dauerten über einen Zeitraum von 16 Monaten an. Die verdeckte Ermittlerin mit dem Decknamen Danielle Durand stand während dieser Zeit in persönlichem Kontakt mit mehreren ehemaligen Angeklagten und wurde bis zum Nachweis ihrer Existenz durch die Angeklagten von ihren Vorgesetzten geleugnet. Berichte über ihre Tätigkeiten wurden dem Verfahrensakt vorenthalten. Der Bericht habe auch zwei Alibibeweise gegen Anklagepunkte im Tierschutzprozess geliefert, sagte Martin Balluch.
"Die Ergebnisse der verdeckten Ermittlungen waren entscheidende Entlastungsbeweise. Sie wurden von der SOKO aber widerwillig und nur über gerichtlichen Auftrag gegen Ende des Monsterverfahrens vorgelegt", sagt Anwalt Josef Philipp Bischof. Die beschuldigten SOKO-Mitglieder seien nicht einmal einvernommen worden, kritisiert er. "Auf der einen Seite schonungslose, aufwändige und kostenintensive Verfolgung, auf der anderen Seite nicht einmal schlichte Befragung der Beschuldigten: Ein seltsames Verständnis von Fairness und Gerechtigkeit", sagt der Anwalt.
Funk: "Rechtlich verfehlt und unvertretbar"
Verfassungsexperte Bernd-Christian Funk konkretisiert die Vorwürfe: "Die Annahme, dass aufwändige verdeckte Ermittlungen, die keinen Hinweis auf und keinen Beweis für die Existenz einer kriminellen Organisation erbracht haben, im Strafverfahren als irrelevant bewertet werden können, geht an den das Strafverfahren beherrschenden rechtlichen Grundsätzen und Regeln vorbei." Dazu zählt Funk die Prinzipien der materiellen Wahrheit, des staatsanwaltschaftlichen Anklageprinzips, der richterlichen Beweisführung, der Waffengleichheit und der Unschuldsvermutung. Das sei nicht nur rechtlich verfehlt, sondern "schlechterdings unvertretbar", so der Experte.
"Andere Auslegung der Gesetze"
Die Einstellung vermittle zudem den Eindruck, dass die KStA der Auffassung sei, Ermittlungen gegen Polizeibeamte erfordern eine "gänzlich andere Auslegung der Gesetze", erklärte der Jurist Eberhart Theuer, der gemeinsam mit seinem Kollegen Erwin Lengauer am Institut für Philosophie den Prozess wissenschaftlich aufarbeitet. Außerdem befürchtet er, dass sich ein Tierschützer-Prozess wiederholen könne, wenn "pflichtwidrig handelnde Beamten nicht mit Konsequenzen zu rechnen haben".
Gericht entscheidet über Anträge
"Im Verfahren gegen die Tierschützer wurde nahezu verzweifelt versucht, den freigesprochenen Unschuldigen strafbare Handlungen nachzuweisen - weder Kosten noch Mühen wurden gescheut, Millionen an Steuergeldern in den Sand gesetzt", kritisiert Anwalt Bischof. Durch die Fortführungsanträge könnte es sich die KStA noch einmal überlegen, doch zu ermitteln. Die bei der Pressekonferenz anwesenden Rechtsexperten hielten das jedoch für "nicht wahrscheinlich". Darüber, ob den Anträgen statt gegeben wird, müsse nun das Gericht entscheiden. (Julia Schilly, derStandard.at, 7. September 2011)