Andrea Eckert (re.) in der Rolle ihrer Lehrerin Dorothea Neff (mit Martina Stilp als Lilli): Heldinnengedenken im Wiener Volkstheater, Regie: Michael Sturminger.

Foto: Gabriela Brandenstein

Wien - Du bleibst bei mir, das neue Stück von Felix Mitterer, ist Schauspielerin Andrea Eckert wie ein Maßkleid angepasst. Eckert schlüpft ab Freitag, 9.9., 19.30 Uhr, in die Rolle ihrer Schauspiellehrerin Dorothea Neff (1903- 1986). Neff verbarg ihre jüdische Freundin Lilli Wolff, eine Modeschöpferin, während der Kriegsjahre in ihrer Wiener Wohnung und errettete sie so vor dem sicheren Tod. Das Wiener Volkstheater gedenkt somit der Neff, der 1979 von Yad Vashem der Titel einer "Gerechten unter den Völkern" verliehen wurde.

Das Volkstheater erinnert sich aber obendrein der Tatsache, dass die Neff-Schülerin Eckert - mindestens in der Ära Emmy Werners - als die "Primadonna assoluta" der Wiener Schauspielkunst zu gelten hatte. Eckert spielte nicht die "Callas"; sie balancierte in einem verwegenen Akt der Verausgabung über ein unsichtbares Hochseil, das den Belcanto meinte, obwohl die Eckert natürlich nicht sang.

Es gehört zu den schmerzlicheren Tatsachen in der jüngeren Volkstheater-Geschichte, dass die Eckert sich ein entsprechendes Seil nur in Ausnahmefällen spannen ließ. Als Volkstheater-Direktor Michael Schottenberg sie nun angerufen hat, sei sie "wirklich sehr aufgeregt" gewesen: "Als wäre ein Schicksalsgong ertönt - obwohl ich nicht schicksalsgläubig bin." Für Eckert ist die Neff "eine Riesin der Menschlichkeit und eine große Künstlerin".

Das Maßkleid aber ist von strengem, sackartigem Zuschnitt. Die Neff nimmt Lilli 1941 bei sich auf. Die beiden Frauen verbindet eine zärtliche lesbische Beziehung, die unter den Bedingungen der Repression irreparabel Schaden nimmt. Auftragsautor Mitterer hat sich in die Zeitgeschichte versenkt: Die beiden Damen leben von einer einzigen Lebensmittelkarte. Das Stück erzählt nicht nur über Mitläufer und Denunzianten, sondern auch über den jungen Erwin Ringel, der Hausnachbar ist und Lilli bei der Entfernung einer gutartigen Krebsgeschwulst hilft.

Der großbürgerliche Haushalt einer gefeierten Schauspielerin wird zum schäbigen Schlupfloch: Dorothea verliebt sich neu - Eva Zilcher wird ihre spätere Lebensgefährtin -, die ältere Beziehung ist unrettbar, auch weil Lillis frühere Kölner Lebensmenschen nach Wien herübersickern. Mitterers Stück erzählt auch davon: Es ist vielleicht unvorstellbar, eine Heldin zu sein. Heldinnen wie die Neff sind aber gewiss keine Heiligen gewesen.

Die Verknüpfung der latenten Todesbedrohung mit dem Motiv einer verkümmernden, vom Terror aufgezehrten lesbischen Liebe überlagert den Stücktext - nicht immer zu seinem Besten - doppelt und dreifach: "Das Stück ist eine Auftragsarbeit des Volkstheaters, um Dorothea Neff zu ehren. Ich kann bei der Beurteilung der Arbeit von diesem Anlass nicht absehen", sagt die Eckert. Ihre Augen blitzen. Die Neff kämpfte früh mit den Schatten der Erblindung. Andrea Eckert aber erlernte als Schauspielschülerin durch sie erst das Sehen.

Lehrerin Dorothea Neff

"Ich traf auf Neff und Zilcher, als ich zwanzig war", erzählt die Eckert. "Ich wollte Schauspielerin werden, das Reinhardt-Seminar nahm mich nicht, die alternativen Institute in der Stadt fand ich trostlos." Ein Bekannter habe ihr zum Besuch der Neff geraten: "Das Vorsprechen bei ihr und Zilcher war ein aufregender Vorgang: sehr streng, sehr einschüchternd. Ich erinnere mich wie heute an Dorotheas blaue Augen, als sie mir das erste Mal die Hand gab, an ihre aufrechte Haltung, gespannt wie eine Feder."

Wenig bekannt blieben die Behinderungen, die die Neff nach dem Krieg erfuhr. Erst 1953 kehrte sie unter Direktor Leo Epp zurück in den Schoß des Wiener Volkstheaters. Ihre Kameradin Lilli war in die USA ausgewandert, unfähig, das erlittene Leid zu vergessen. 1967 erblindete die Neff vollständig. Zur Ehrung ihrer Lebensretterin wollte Wolff nicht nach Wien zurückkehren. Die Neff verstand ihre Exgefährtin nur zu gut.

Eckert: "Als ich 1979 zu ihr kam, konnte sie sich ihre aus der Blindheit resultierende Ungeschicklichkeit nicht verzeihen. Wenn sie in ihrem Salon an ein Möbelstück stieß, geriet sie förmlich außer sich." Wund sei die Neff gewesen, nervlich angespannt. Erst später habe Eckert erfahren, dass die Neff immer wieder von Verzweiflungsattacken heimgesucht wurde. Dann habe sie, die Lehrerin, die Fenster aufgerissen. Gesprungen ist die Neff nicht. (Ronald Pohl / DER STANDARD, Printausgabe, 8.9.2011)