Tische mit Körperspenden im studentischen Seziersaal. Über Rohre kann Konservierungsflüssigkeit in den Boden ablaufen.

Foto: derStandard.at/Marietta Türk

Respekteinflößende Stille herrscht im verwaisten Saal.

Foto: derStandard.at/Marietta Türk

Diesen Ausweis tragen Körperspender bei sich

Foto: derStandard.at/Marietta Türk
Foto: derStandard.at/Marietta Türk

Holzstützen können bei Bedarf unter den Körper geschoben werden.

Foto: derStandard.at/Marietta Türk
Foto: derStandard.at/Marietta Türk

Ein Student hat sein Sezierset vergessen

Foto: derStandard.at/Marietta Türk

Mahnende Worte an der Tür des Seziersaals

Foto: derStandard.at/Marietta Türk

Auch zu Weiterbildungszwecken werden Körperspenden benötigt.

Foto: derStandard.at/Marietta Türk

Hier forschen ausgebildete Fachärzte aus aller Welt

Foto: Michael Pretterklieber

Wie erhöhte Grabstätten wirken die Tische im Seziersaal des Zentrums für Anatomie und Zellbiologie in Wien. Die mit roten Planen abgedeckten Leichen liegen hier fein säuberlich in Reih und Glied und sind parat für die kommenden Sezierkurse. Die toten Körper stammen von Menschen, die sich zu Lebzeiten per Vermächtnis zur Körperspende nach ihrem Tod der medizinischen Forschung verschrieben haben.

Im Zentrum für Anatomie und Zellbiologie in der Währingerstraße werden sie präpariert und aufbewahrt. Einige hundert stehen dem Zentrum jährlich zur Verfügung. "Erfreulicherweise melden sich in Ostösterreich vergleichsweise viele Menschen", weiß der Leiter des Zentrums, Helmut Gruber. Die Gründe sind vielfältig: manche wollen der Wissenschaft dienen, andere können oder wollen die Begräbniskosten nicht aufbringen. Für einen Kostenbeitrag von 450 Euro wird der Leichnam durch ein Bestattungsinstitut in das Anatomiezentrum überstellt und später beigesetzt.

Schicht für Schicht

Eine chemische Konservierungsflüssigkeit, die über das Blutgefäßsystem in den Körper geschickt wird, sorgt für Haltbarkeit und dafür, dass Studenten später Schicht für Schicht abtragen können, um bis in die innersten Organe vorzudringen. In großen Bottichen lagern die Körper mindestens ein halbes Jahr um sicherzustellen, dass sie keimfrei sind. Per Leichenaufzug gelangen sie von den Kellerräumen in die Sezier- und Forschungssäle. Die Luft im Seziersaal ist schwer: der Geruch von Formalin und Phenol liegt in der Luft. "Eintritt nur im weißen Mantel" steht an der Tür. Im Sommer, wenn die Studenten Ferien haben, wirkt der Raum verwaist, ein Pennal mit Sezierbesteck liegt am Fensterbrett.

Wien als Weiterbildungszentrum 

Ein Teil der Leichen wird im Gefrierraum ohne Chemie konserviert. "Für etliche Untersuchungen ist diese Art der Konservierung besser, weil der Körper farbecht bleibt, die Kontraste besser erhalten werden und die Konsistenz körperähnlicher ist", erklärt Gruber. In der Ärztefortbildung werden die gefrorenen Körper für die Untersuchung endoskopischer Zugänge zum Gehirn verwendet oder zum Experimentieren mit neuen Operationstechniken.

Ein Blick in den Weiterbildungssaal ist gewöhnungsbedürftig. Unter grünem OP-Tuch lugt ein weißes Bein hervor. Dank dem Menschen, der seinen Körper gespendet hat, kann hier in Kürze eine neue Operationsmethode ausprobiert werden. Mediziner aus aller Welt kommen nach Wien um die speziell ausgestatteten Fortbildungsräume zu nutzen und Fachärzte zu unterrichten. "Für mich sind die Körperspenden wie Patienten", erklärt Anatom Michael Pretterklieber, "Operationen an lebenden Menschen sind auch nicht immer erfreulich, schließlich haben sie mit Krankheit zu tun." Für ihn ist der tägliche Umgang mit Leichen nichts Ungewöhnliches.

Fündig werden

Zwischen einen Monat und zwei Jahren können die anatomischen Untersuchungen dauern. Fast alle Körper sind zwischen 60 und 90 Jahre alt. "In den vergangenen Jahren stoßen wir immer häufiger auf Herzschrittmacher und Gelenksprothesen", erzählt Gruber. Das spreche dafür, dass die Bevölkerung immer älter werde. Abgelehnt werden Körperspenden von Hepatitis C- und HIV-Patienten, weil diese hoch infektiös seien. Stellt der Totenbeschauer oder die Ärzte im Krankenhaus eine dieser Erkrankungen fest, werden die Körper nicht angenommen.

Begraben am Zentralfriedhof

Nach den Untersuchungen werden die Körper im Krematorium verbrannt und in einem Massengrab bestattet. Die Asche wird bei Tor drei in den Grabstätten des Zentrums für Anatomie und Zellbiologie am Wiener Zentralfriedhof beigesetzt. Vor rund zwei Jahren ist die Grabstätte erneuert worden. Die Begräbnisse finden zwar ohne Angehörige statt, es gibt nun aber die Möglichkeit dort Namenstafeln anzubringen. 

Ab und zu rufen Angehörige auch am Institut an und wollen den Körper nach den abgeschlossenen wissenschaftlichen Arbeiten selbst bestatten. "Das geht aber organisatorisch nicht und wir müssen das immer ablehnen", erklärt Anatom Gruber. Einmal im Jahr, kurz vor Allerheiligen findet eine gemeinsame Gedenkmesse für alle Angehörigen statt. "Da platzt die Kirche am Zentralfriedhof aus allen Nähten", erzählt Anatom Michael Pretterklieber.

Ethischer Umgang

Manche Familienmitglieder wollen nicht, dass ein Körper gespendet wird. Allerdings ist das Vermächtnis zur Körperspende ähnlich einem Testament - es kann prinzipiell nicht rückgängig gemacht werden. "Aber um jeden Preis zwingen wollen wir auch niemanden", sagt Gruber, in Ausnahmefällen komme man entgegen. Respekt ist am Institut ein großes Thema: Für Medien ist das Fotografieren der Leichen verboten, zu Beginn der Sezierkurse halten die Vortragenden eine Rede zum Umgang mit den Toten, an der Tür prangt ein Auszug aus dem Strafgesetzbuch. "Studenten dürfen während der Kurse nicht essen, Musik spielen oder Witze erzählen", erzählt der Anatom. Von Hagens Körperwelten hält er für "eine blöde Effektshow". (Marietta Türk, derStandard.at, 20.9.2011)