Annie Clark veröffentlicht als St. Vincent ihr drittes Album: "Strange Mercy".

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Um zu dieser Musik zu tanzen, steckt man sich am besten ein paar Geodreiecke ins T-Shirt und Steine in die Schuhe. Denn der eckige Sound aus dem Mini-Moog, dem Schlagzeug und den knappen Gitarrenriffs erinnert an vertonten Kubismus. Das liest sich erstmals abstoßend, aber St. Vincent versteht es, ihren seltsamen Soundpatterns trotz Kanten und Ecken eine gewisse Eleganz angedeihen zu lassen. Und sei es mit ihrem ätherischen Gesang, den sie manchmal kunstvoll ins Blutleere überführt, von wo sie die Coolness der Distanz auskostet. Björk als Lockenkopf. Dabei kann sie auch anders. Voll durchblutet balladiert sie sich etwa durch Champagne Year, in dem ihre Stimme jene Intimität und Wärme besitzt, die so eine Ballade wissenschaftlich belegt braucht.

St. Vincent ist der Alias der US-Amerikanerin Annie Clark, die mit Strange Mercy nun ihr drittes Album vorlegt. Davor konnte man sie in den Bands Polyphonic Spree und in Sufjan Stevens Live-Band bewundern. Und Bewunderer hat die Dame viele, sie gilt gemeinhin als gutaussehend, und das ist im Showbusiness nie schlecht und immer eine Erwähnung wert. So wie hier. In Österreich konnte man St. Vincent bereits live erleben. Sie trat im Vorprogramm der New Yorker Hipster-Band Grizzly Bear auf, und das passte gut zusammen. Wie Grizzly Bear hat Clark einen Zug zum Art-Pop. Doch während Grizzly Bear diesen meist in eine schräge Form des Schönklangs überführen, verzichtet die Dame mit den großen Augen auf derlei Gefälligkeit, gibt sich lieber bockig, beharrt auf den erwähnten Kanten und Ecken. Geradlinigkeit oder den klassischen Pop-Song meidet sie wie der Teufel den Kirchgang.

So eine Auflage ergibt zwar etwas anstrengendere Ergebnisse, aber wenn man sich das Gros dessen anhört, was sonst so geistfrei im Mäntelchen der Independent Music im Laden steht, möchte man Clark und ihren Mitstreitern momentan den Verweigerungsorden erster Klasse anheften. Ja, so weit ist es gekommen.

Ihre Renitenz manifestiert sich in bohrenden Synthie-Bässen, elektronischem Firlefanz, der vor ihrer eigenen Stimme nicht haltmacht und diese stellenweise verfremdet, sowie dem Setzen von Breaks, wo diese eher ungewöhnlich wirken. Dennoch fallen dabei eingängige Stücke wie Cruel ab, das ihre Attitüde eigentlich verstärt. Ein Stück wie Cruel sagt: Natürlich könnte ich brave Popsongs schreiben, aber ihr könnt mich mal.

Restlose Begeisterung stellt sich dennoch nicht ein. Irgendwas scheint manchen Stücken zu fehlen, was genau, müsste man jetzt wissen. Vielleicht so etwas wie Deepness. Im Sinne von mehr Bass, einer fetten Produktion. Trotzdem: Wer sich das Album erarbeitet, wird so oder so belohnt. (Karl Fluch / DER STANDARD, Printausgabe, 9.9.2011)