Der Wiener Ökonom und WU-Professor Herbert Walther erklärt, warum die Politik von US-Präsident Barack Obama in die richtige Richtung geht, aber die falschen Ausmaße hat. Und dass die USA einer Deflation näher sind als einer Inflation, ja mitunter japanische Verhältnisse drohen. Seiner Meinung nach hat Obama seine mögliche Wiederwahl 2012 schon verspielt.
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derStandard.at: Herr Walther, wie sinnvoll ist das Obama-Konjunkturprogramm?
Herbert Walther: Alles was an expansiver Nachfrage-Stützung in den USA passiert, ist positiv. Denn die momentane Entwicklung geht genau in die Gegenrichtung, die Bundesstaaten kürzen ihre Budgets, entlassen ihre Lehrer, ihre Polizisten, schließen Museen, kürzen Sozialleistungen. Das sind alles sehr negative Zeichen für die Konjunkturentwicklung der nächsten zwei Jahre.
derStandard.at: Wird das Paket auch wirksam sein?
Walther: Im Großen und Ganzen ist das Paket sehr, sehr klein, in der Relation zum BIP. 300 Milliarden zu etwa 14.000 Milliarden Dollar. Damit kann man höchstens die bestehende Abwärtsentwicklung etwas bremsen. Die gesamten Konjunkturpakete, die Obama bisher durchgesetzt und umgesetzt hat, haben nur den Effekt gehabt, dass die negativen Nachfrageeffekte der Budgetkürzung auf Ebene der Bundesstaaten und Gemeinden geringfügig abgeschwächt wurden. Die meisten Bundesstaaten sind ja per Gesetz verpflichtet, einen ausgeglichenen Haushalt zu haben.
Obama hat in der Schuldendebatte vor den Republikanern total kapituliert - die Sparmaßnahmen, die er mit den Republikanern ausgehandelt hat, treffen vor allem die untersten Einkommensschichten. Jetzt versucht er ein politisches, aber ökonomisch schwaches Zeichen zu setzen, dass ihm die Interessen seiner eigenen Wähler doch noch etwas bedeuten. Doch meines Erachtens kommt das viel zu spät, die Wahl hat er bereits verloren. Er hat sich von den Republikanern zu sehr erpressen lassen, viel zu wenig gekämpft. Und seine wichtigsten Berater schauen sich schon nach gut bezahlten Jobs auf der Wallstreet um.
derStandard.at: Die amerikanischen Unternehmen werden also nicht mehr investieren?
Walther: Viele Programme, beispielsweise die Senkung der Lohnnebenkosten für Arbeitnehmer und Unternehmen, gibt es ja schon, die Effekte sind schon verpufft. Jetzt will man die Maßnahmen eben verlängern. Einiges, wie die Verlängerung der Bezugsdauer von Arbeitslosenunterstützung wird am Widerstand der Republikaner scheitern oder nur gegen andere Einsparungen zu haben sein. Die großen Konzerne sitzen zurzeit auf gewaltigen Liquiditätsreserven und weigern sich massiv zu investieren. Angesichts der schwachen Nachfragesituation ist das natürlich zu verstehen, aber gleichzeitig schwingt ein gewisses politisches Ressentiment gegen die Obama Administration sicher mit. Ich glaube, wir werden weitere zwei Jahre schwaches Wachstum, wenn nicht eine Rezession, in den USA erleben.
derStandard.at: Die Arbeitslosenrate in den USA ist ja historisch gesehen sehr hoch.
Walther: Zunächst muss man bedenken, dass nur etwas mehr als ein Drittel der Arbeitslosen in den USA überhaupt Arbeitslosenhilfe bekommt. Es gibt viele, die keinen Anspruch darauf haben. Die offizielle Arbeitslosenrate liegt bei neun bis zehn Prozent. Wir haben in Wahrheit eine Unterbeschäftigung von 15 Prozent, vielleicht sogar höher, im Vergleich zum Höhepunkt der Hochkonjunktur. Vor allem Junge, teilzeitbeschäftige Frauen und ältere Arbeitnehmer haben ihren Job verloren. Aber auch im Niedriglohnsektor gibt es einen massiven Stellenabbau.
derStandard.at: Wie schätzen Sie die in Folge der Schuldenkrise erfolgte Bonitäts-Herabstufung der USA ein?
Walther: Die Herabstufung der USA hat auf die langfristigen Zinsen überhaupt keinen Effekt gehabt. Die langfristigen Zinsen sind sogar gesunken, weil die Investoren vernünftigerweise erwarten, dass sich die wirtschaftliche Situation wieder eintrüben wird. Deshalb kaufen sie US-Staatsanleihen. Denn man weiß genau, die USA können sich im Prinzip bei ihrer Zentralbank auch zinsenlos verschulden: Die Idee einer Zahlungsunfähigkeit der USA ist eine absurde Phantasie, von Rating-Agenturen in die Welt gesetzt, die, so mein Verdacht, im Auftrag ihrer Eigentümer - das sind im Fall der besagten Agentur Standard und Poors Hedge-Fonds - Zinserwartungen profiträchtig manipulieren. Im Falle der USA ist das nur sehr kurzfristig gelungen.
Das Risiko eines Staatsbankrotts ist in Europa ganz anders, wo sich die Länder prinzipiell nicht grenzenlos bei der EZB verschulden können. Das ist auch sinnvoll, weil die gegenteilige Erwartung, dass Staatsbankrotte im Euro-Raum jedenfalls durch die EZB verhindert werden, die Währungsunion politisch sprengen würde.
derStandard.at: Was ist momentan das größte ökonomische Problem in den USA?
Walther: Die politische Lähmung der USA. Und die Fesseln, die sich die amerikanischen Bundesstaaten verfassungsrechtlich auferlegt haben, zum Teil auch durch einen Ausbau direktdemokratischer Elemente, deren Instrumente höchst einseitig von reichen Lobbyisten via Medienmacht zur Verhinderung jeglicher - notwendiger Steuererhöhungen - eingesetzt werden. Die Defizit-Sperre in den Bundesstaaten sind der eigentliche Mechanismus für die prozyklische Wirkung der fiskalischen Politik. Die Bundesstaaten sind es nämlich, welche die wichtigsten Investitionen in die Infrastruktur, zum Beispiel in die Verkehrswege, tätigen. Die Fiskalpolitik verschärft im Augenblick massiv die Krise, trotz der viel zu zaghaften Versuche der Obama-Administration gegenzusteuern.
derStandard.at: Welche Rolle spielt hier die amerikanische Notenbank Fed?
Walther: Die Fed hat beschlossen, nichts zu tun, auch aus Angst vor einer aus politischen Interessen herbeigeredeten negativen Reaktion der Finanzmärkte. Dabei müsste sie jetzt massiv Staatsanleihen kaufen, ein weiteres ‚Quantitative easing"-Programm starten.
derStandard.at: Haben Sie keine Bedenken, dass dann Inflation droht?
Walther: Nein. Wir haben im Gegenteil die Gefahr, dass die USA in die Deflation abstürzen, dass sie in ein japanisches Szenario hineingeraten. Die USA haben sehr wettbewerbs-intensive Konsumgütermärkte, eine offene Volkswirtschaft, dabei aber viele Arbeitslose und eine Unterauslastung der Kapazitäten. Das alles drückt auf die Konsumentenpreise, die Diskonter boomen und der klassische Einzelhandel macht weniger Umsätze. Die Erwartung einer Inflation wird geschürt von Leuten, die im Finanzsektor sitzen. Die wünschen sich natürlich höhere Zinserträge auf ihre Bonds, und haben in vielen Fällen ihren Kunden Renditen versprochen, die sie nie halten können. Alle diese Leute haben ein massives Interesse, dass die Zinsen höher sind. Jetzt schüren sie die Angst vor der Inflation, um den Zinssatz zu erhöhen, ohne zu bedenken, dass so die Lage noch schlechter wird.
derStandard.at: Halten Sie ein Mehr an günstigen Krediten für verschuldete Hauseigentümer für zielführend?
Walther: Das ist sicher ein sinnvoller Weg, der aber politische Nebenkosten hat. Die Hauptkritik der Republikaner ist, dass Leute, die sich fahrlässig verschuldet haben, nicht durch den Staat gerettet werden sollen. Das hat eine moralische Komponente. Ist aber ökonomisch ein Rezept zur Verschärfung der Krise. Man sollte aus der Zeit der Großen Depression lernen. Unter Präsident Roosevelt durften die Menschen nicht aus den Häusern geworfen werden, solange kein neuer Käufer für das Haus gefunden werden konnte. Zudem wurde der Schuldendienst an das verfügbare Einkommen angepasst. Die Häuser wurden daher nicht devastiert, wie das heute in Teilen der USA der Fall ist, wo ganze Wohnviertel entvölkert wurden und die Häuser lange Zeit unverkäuflich bleiben. Da hat niemand etwas davon. Das Hilfsprogramm für über überschuldete Hausbesitzer unter Roosevelt war übrigens für den Staat nicht einmal Verlustgeschäft.
derStandard.at: Der republikanische Präsidentsanwärter Mitt Romney fordert gar schon eine härtere Gangart gegenüber China, um die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Industrie wieder zu erhöhen. Der richtige Weg?
Walther: Das halte ich durchaus für eine vernünftige Strategie. Die Amerikaner haben sich gegenüber China ein gewaltiges Leistungsbilanzdefizit zugelegt, so ihre eigene Industrie massiv geschwächt. Die Chinesen rollen mit einer massiv unterbewerteten Währung den US-Markt auf. Diese Situation ist nicht haltbar. Die Chinesen sind in einer Situation wie die Deutschen in den späten 60er Jahren. Damals hat auch die D-Mark begonnen massiv aufzuwerten, nach gewaltigen Handelsüberschüssen gegenüber den USA. Auf kurz oder lang wird es den politischen Druck geben, den Yuan massiv aufzuwerten. (Hermann Sussitz, derStandard.at, 8.9.2011)