"Evangelische Geistliche sind der Heiligen Schrift verpflichtet und dem Bekenntnis der Kirche, aber nicht der kirchlichen Autorität" - auch nicht seiner, weiß Bischof Michael Bünker.

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STANDARD: In der katholischen Kirche herrscht gerade ein Konflikt zwischen denen, die Reformen wollen, und denen, die alles so bewahren wollen, wie es ist. Wie genau beobachten Sie in der evangelischen Kirche diese Diskussion?

Bünker: Wir beobachten das schon genau, auch weil es für uns immer von Bedeutung ist, wie es der Schwesterkirche geht. In Österreich spielt das auch wegen der Größe der katholischen Kirche eine Rolle.

STANDARD: Glauben Sie, werden Reformen kommen, eine Abspaltung, oder wird alles im Sand verlaufen?

Bünker: Ich bin kein Prophet. Die evangelische Kirche ist gekennzeichnet davon, dass wir die ständige Reform zu unseren Kirchengrundlagen zählen. Ich kann das auch für die europäischen evangelischen Kirchen sagen, die sich ständig in Reformprozessen befinden. Das hängt damit zusammen, dass unsere Verfassung nicht nach göttlichem Recht eingeführt wurde, sondern nach menschlichem Recht und daher veränderbar ist. In unserer österreichischen Kirchenverfassung steht auch, dass die Verfassungsbestimmungen immer an der Heiligen Schrift zu prüfen sind.

STANDARD: Das zeigt sich etwa wo?

Bünker: Zum Beispiel hat Martin Luther die Frauenordination noch nicht eingeführt. Aber im Lauf der Zeit sind wir draufgekommen, dass dieser Reformschritt nötig ist - auch mit Konflikten, aber im Endeffekt positiv.

STANDARD: Es wäre besser, die katholische Kirche würde den Reformprozess nicht im Keim ersticken?

Bünker: Alle Kirchen durchlaufen Reformprozesse. Das ist etwas, was immer notwendig ist. Und eine Krise ist immer eine Chance. Never waste the crisis!

STANDARD: Die evangelische Kirche entstammt selbst einem Reformprozess innerhalb der katholischen Kirche. Wie unterscheidet sie sich in den Strukturen?

Bünker: In der evangelischen Kirche gibt es eine Beteiligung aller auch an den Entscheidungsprozessen. Das Recht der Gemeinden, selbstständig ihre Pfarrer wählen zu können, war etwa ein Grundanliegen der Reformation. Das war nicht einem politischen Zeitgeist geschuldet, sondern der Einsicht, dass sich Gemeinden an der Entscheidung beteiligen sollen. Es gibt auch das Priestertum aller Gläubigen, wie das bei uns heißt. Als die Bild-Zeitung geschlagzeilt hat: "Wir sind Papst" - das haben wir immer schon gewusst. Nur brauchen wir keinen Papst.

STANDARD: Im Sinn von "Wir wollen nicht Papst sein"?

Bünker: Nein, wir wollen nicht Papst sein. Luther hat gesagt: 'Alles, was aus der Taufe kriecht, ist Priester, Bischof und Papst.' Es gibt keine Hierarchie über die Taufe hinaus.

STANDARD: Alle sind Gottes Stellvertreter auf Erden?

Bünker: Jeder steht unmittelbar vor Gott. Das ist wesentlich am Protestantismus. Wenn es um die Seligkeit geht und um das Gewissen, kann sich niemand vertreten lassen - dann steht jeder Mensch selbstständig, mündig und aufrecht vor allen Autoritäten. Natürlich auch vor Gott.

STANDARD: Droht der evangelischen Kirche auch ein interner Konflikt?

Bünker: Die evangelische Kirche ist nicht die Insel der Seligen. Wir haben Konflikte etwa in der Frage um die Verteilung der Arbeit von haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitern. Oder es geht um sexual-ethische Fragen wie den Umgang mit Homosexualität. All das führt oft zu heftigen Diskussionen. Sie sind aber auch immer eine Möglichkeit, um notwendige Schritte durchzuführen und in der Reform den eigenen Grundsätzen noch besser zu entsprechen. Evangelische Geistliche sind der Heiligen Schrift verpflichtet und dem Bekenntnis der Kirche, aber nicht der kirchlichen Autorität.

STANDARD: Was bedeutet das?

Bünker: Es gibt viel mehr Freiheiten. Die Bischöfe werden gewählt - und können wieder abgewählt werden.

STANDARD: Profitiert die evangelische Kirche von den Problemen der Katholiken im Sinn von steigenden Mitgliedszahlen?

Bünker: Wir wollen nicht von den Problemen in anderen Kirchen profitieren.

STANDARD: Klar, aber tun Sie es?

Bünker: Ich habe das nicht nachgeprüft. Im Zuge der Missbrauchsfälle kann man sagen: kaum.

STANDARD: Sie machen den katholischen Reformern also auch kein Angebot?

Bünker: Nein. Ich wünsche mir, dass alle Christen in ihren Kirchen eine gute Heimat finden.

STANDARD: Sie glauben nicht, Sie hätten die bessere Heimat?

Bünker: (lacht) Ich bin davon überzeugt, dass sich die evangelischen Kirchen redlich und glaubwürdig bemühen, das umzusetzen, was im Neuen Testament steht und was Jesus wollte, und wie es einen menschenwürdigen Umgang geben kann.

STANDARD: Eine sanfte Antwort.

Bünker: Ja, ich bin ja auch sanft. (Saskia Jungnikl, STANDARD-Printausgabe, 9.9.2011)