Doris Golpashin und Andi Knoll stemmen ihre öffentlich-rechtlichen Mikrofone: "Die große Chance" lockt.

Foto: ORF/Schafler

Kaum hat man sich nach gefühlten 17 Staffeln "DSDS" an Dieter Bohlens schmierstimmiges Genörgel gewöhnt, an die Sangeskünste tätowierter Hartz-4-Bezieher, an Exhibitionisten und Flohzirkusartisten - schon legt der ORF mit "Die große Chance" selbstbewusst nach.

Das muss nichts Schlechtes bedeuten: Die heimische Ausgabe der Talenteshow zehrt von einem Impuls restdemokratischer Empfindsamkeit. Die Ungerechtigkeiten der "großen" Welt sollen mithilfe des öffentlich-rechtlichen Senders im Kleinen ausgebügelt werden. Zu diesem Zweck bittet man Menschen vor die Kamera, die privat Fertigkeiten ausgebildet haben, für die kein "reales" Interesse besteht. Der Sieger eines wochenlangen Ausleseverfahrens trägt 100.000 Euro nach Hause - dorthin also, wohin ihm unter Garantie keine Kamera folgen wird.

Im Herbst endlich wird alles gut: Vor einer natürlich vierköpfigen Jury, abgeschirmt von Doris Golpashins routiniertem Malzbonbonlächeln, produzieren sich die Entertainer einer alpenländischen Parallelgesellschaft, die das Geheimnis um ihre verborgen gehaltenen Wunderkinder lüftet und diese schockweise preisgibt. Junge Menschen imitieren Whitney Houston - oder wen sie sonst für eine Ikone des Ausdrucksgesanges halten. Es wird zünftig gejodelt, ein paar Herrschaften stellen einen bunt lackierten Tisch auf zerbrechliche Flaschenhälse.

Buchstäblich alles ist möglich: Von dieser Einsicht zehrt eine Show, die dazu ermutigt, ein Leben für den "Recall" zu führen. (Ronald Pohl/DER STANDARD; Printausgabe, 9.9.2011)