Menschliche Handvergleiche: Die vollständig erhaltene Hand eines Australopithecus sediba und die eines Menschen.

Foto: Peter Schmid. Picture courtesy of Lee Berger and the University of Witwatersrand

Washington/Wien - Das größte Problem bei der Rekonstruktion unseres menschlichen Stammbaums ist der Mangel an erhaltenen Wurzeln: Je weiter es in der Menschheitsgeschichte zurückgeht, desto rarer und unvollständiger sind die erhaltenen Knochenfossilien. Aus diesem Grund ist etwa das 1974 entdeckte und vergleichsweise vollständige Skelett von Lucy, einer 3,2 Millionen Jahre alten Australopithecus-Vertreterin, immer noch einer der wichtigsten Vormenschenfunde.

Vor drei Jahren machte der neunjährige Sohn des Paläoanthropologen Lee Berger von der Universität von Witwatersrand in einer Höhle bei Malapa in Südafrika einen Knochenfund, der ähnlich bedeutsam werden könnte wie der von Lucy: Bis dato wurden an der Fundstelle nördlich von Johannesburg weit über 200 Knochen von mindestens fünf ziemlich gut erhaltenen Individuen zutage gefördert - dabei haben die eigentlichen Grabungen noch gar nicht begonnen.

Die Knochen wurden einer neuen Vormenschenart zurechnet, die 2010 erstmals vorgestellt und Australopithecus sediba getauft wurde. Nun deuten umfangreiche Analysen in der neuen Ausgabe der Wissenschaftszeitschrift Science darauf hin, dass diese Art ein direkter Urahn der Gattung Homo gewesen sein dürfte, zu der auch Homo sapiens gehört, der moderne Mensch.

Wieder einmal dürfte also unsere Vorgeschichte ein wenig umgeschrieben werden müssen: Denn unter dem Strich kommen verschiedene Forscherteams in gleich fünf Aufsätzen nämlich zum Schluss, dass Sediba dem modernen Menschen in vielen Aspekten ähnlicher sei als etwa Homo habilis oder Homo rudofiensis, obwohl diese in der Erdgeschichte erst etwas später auftraten.

Die detaillierten Untersuchungen von zwei Skeletten - einem etwa zehn bis 13 Jahre alten Buben und einer etwa 30-jährigen Frau - reichen von Kopf bis Fuß, besonderes Augenmerk gilt der fast vollständigen Hand: Diese sei bereits sehr spezialisiert gewesen. Daraus könne man schließen, dass Sediba bereits Werkzeuge herstellte und benutzte.

Neben der Hand zeigen auch andere Körperteile eine Mischung aus primitiven und modernen Merkmalen. Das Hirnvolumen etwa ist einerseits deutlich kleiner als bei Homo-Arten. Andererseits scheinen bestimmte Hirnregionen bereits sehr menschenähnlich zu sein. Auch das Becken zeigt einen solchen Mix. Auf einen aufrechten Gang lassen einige Merkmale am Fuß von Sediba schließen. Andere Fußmerkmale dagegen sind noch sehr affenartig. Deshalb haben die Forscher auch beschlossen, die neue Art Australopithecus und nicht "Homo sediba" zu taufen. (tasch, APA/DER STANDARD, Printausgabe, 09.09.2011)