Almwanderungen in der Morgendämmerung kann Franz Struzl künftig nur am Wochenende machen. Denn in Wien gibt es für den Stahlmanager, der es in der Pension nicht mehr aushielt und beim Feuerfesthersteller RHI anheuerte, zum Erklimmen allenfalls hunderte Stufen hinauf in sein Büro im Wienerberg-Tower.
Der ehemalige Voest-alpine-Chef nimmt diesen Umstand gelassen. Ihm sei die nötige Kondition ohnehin in Brasilien ausgegangen, wo er sieben Jahre lang für die Böhler-Uddeholm deren Werk Villares Metals zu Hochglanz polierte.
Dafür ist er seiner geliebten Hohen Veitsch (die er als Geschäftsführer der Kindberger Röhrenwerke und des Stahlwerks Donawitz noch vor morgendlichen Vorstandssitzungen zu bezwingen pflegte) und seiner Heimat Kindberg nun zumindest zeitweise wieder viel näher. Denn RHI ist mit dem Magnesitabbau der Veitsch-Radex im Hochlantsch-Gebiet fest verankert.
Warum sich Franz Struzl den Job an der Spitze des Herstellers von Feuerfestprodukten mit 69 noch antut, bleibt sein Geheimnis. Der Bau eines RHI-Werks in Brasilien und die Intensivierung des Russland-Geschäfts als Herausforderung scheinen als Erklärung dünn. Auch Geld, sagt er, sei nicht die Motivation, einen Schleudersitz zu besteigen. Und ein solcher ist der RHI-Chefsessel unbestreitbar, seit die MS-Privatstiftung des Martin Schlaff RHI kontrolliert. Nach dem Abgang von Langzeit-Vorstandsmitglied Andreas Meier Ende 2008, der RHI nach US-Debakel und Asbest-Klagen in Milliardenhöhe sanierte, gibt es nur im Aufsichtsrat Kontinuität. Die Chefs wechselten im Jahresrhythmus. Das stärkt letztlich Struzls Position. Er hat in der alten Vöest-Alpine Wunschkonzerte der Politik sonder Zahl erlebt und auch deren Folgen. Es hat es nicht mehr nötig, sich von verkappten Generaldirektoren im Aufsichtsrat dirigieren zu lassen.
Was Sanieren und Kostensenken heißt, weiß der promovierte Betriebswirt. Musste er doch gemeinsam mit dem späteren Voest-Chef Peter Strahammer zeigen, dass das legendär-defizitäre Langprodukte-Werk in Donawitz lebensfähig ist. Von 12.000 Arbeitsplätzen blieben nach Norikum-Skandal und Vöest-Pleite nur 3500.
Dass er sich auf Neues einlassen kann, hat Struzl, der 2003 nach 36 Jahren Voest über Insiderhandel stolperte, gezeigt. Er löste seine steirischen Familienbande und ging mit neuer Familie samt Zwillingskindern nach Brasilien. (Luise Ungerboeck, DER STANDARD; Print-Ausgabe, 9.9.2011)