Zunächst erinnern mich die Inhalte der Kommentare zum Mitspracherecht für Parlamente (Pro von Andràs Szigetvari und Kontra von Günther Oswald) an den ebenso auf derStandard.at erschienen Kommentar von Karl Markus Gauss. Andererseits denke ich dabei an das Büchlein "Mag ich. Mag ich nicht". Karl Markus Gauss schreibt in diesem Kommentar unter dem Titel "Wolfgang Schüssel und der Geist aus den Flaschen" sinngemäß, dass ihm keine Anschauung so fremd sein kann, um nicht auch verstehen zu können, was die Leute hinter dieser Meinung antreibt. Das Buch "Mag ich – mag ich nicht" aus dem Diogenes Verlag ist eine Sammlung von ausgefüllten Fragebögen, die mit dieser Frage jährlich an angesehene Schriftsteller versandt werden mit der Bitte, ihre Vorlieben oder Abneigungen kund zu tun (eine übrigens empfehlenswerte und amüsante Sammlung).

Richtungsänderung geht schnell

Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Nun, je nach Stimmung, vorangegangenen Ereignissen oder verschiedenen Vorfällen ertappt man sich bei selbstkritischer Sicht, dass man sich oftmals Vorlieben und Abneigungen anschließt, die man an anderen Tagen wieder aus der genau entgegengesetzten Richtung beurteilt. Und mit Karl-Markus Gauss kann man ohne Weiteres konform gehen, dass konträre Ansichten einer Einfühlung zugänglich sein können ohne sie deshalb zu teilen.

Am Volk vorbei

Das "Pro" zu mehr Mitspracherecht für Parlamente liest sich auf den ersten Blick absolut selbstverständlich. Wer, wenn nicht das Parlament, durch das angeblich das Staatsvolk spricht, wäre dazu berufen, Entscheidungen dieses Ausmaßes abzusegnen? Auf den zweiten Blick stellt sich die Sache wohl etwas differenzierter dar. Das Gremium, das hinter den verschlossenen Türen die Milliardenkredite verabschiedet, wird aus den Reihen der Regierung und den ihr zusagenden Experten gebildet. Also aus den Parteien, die die Mehrheit im Parlament bilden und in späterer Folge diese Beschlüsse absegnen soll und nach einer Scheindiskussion auch absegnen wird. Damit ist man beim Problem der Eigenständigkeit der Parlamente, insbesondere des österreichischen, angelangt. Solange es einen Klubzwang gibt, der eine dissente Meinung in der Abstimmung verunmöglicht, solange ist das Parlament nicht viel mehr als der Erfüllungsgehilfe der Regierung und nicht die Stimme, die Beschlüsse der Regierung legitimiert.

Brandgefährliche Forderung

Dem "Kontra" zum Thema lässt sich auf den ersten Blick ebenso etwas abgewinnen. Keine vernünftige Entscheidung wäre davor sicher, durch provinzielle Profilierungssucht, Beeinflussung durch Boulevardzeitungen oder einfach durch Unverständnis der abstimmenden Parlamentarier gekippt zu werden. Gerade in Belangen der europäischen Union stehen dem Populismus und Nationalismus Tür und Tor offen. Andererseits: Wer garantiert dafür, dass die Entscheidungen nicht auch zum Teil von Massenmedien, Profilierungssucht und/oder Unverständnis der Entscheider geprägt sind? Auch kann niemand im Voraus wissen, ob die Expertenmeinungen, auf die sich diese Entscheidungen stützen, aus der Vielzahl an Meinungen die richtigen sind.

Die Experten

Das führt zu den Experten, die in die Materie eingebunden sind. So sehr es notwendig ist, mangels eigener Fachkennntnisse der politischen Entscheidungsträger fremde Expertise hinzu zu ziehen, so fragwürdig ist es, ob die richtige Expertenmeinung ausgewählt wurde oder ob die politisch genehme und möglicherweise falsche den Vorzug erhalten hat. Diese Fragwürdigkeit ist offensichtlich auch den maßgeblichen Politikern bewusst. Wie könnte man sonst verstehen, dass "Europa" nicht weiß, was es will. Dass dem so ist, ist aus meiner Sicht nachvollziehbar. Man nehme nur die Wortmeldungen von Werner Sinn, der das Heil in einem Staatsbankrott von Griechenland sieht, vor dem der EZB-Chef Jean Trichet wegen der Folgen für das europäische Bankkensystem und einer damit einhergehenden Krise eindringlich warnt. Beiden Experten kann mangelndes Fachwissen nicht abgesprochen oder reine Interessenvertretung unterstellt werden. Dieser Beispiele gäbe es noch viele weitere.

Das Dilemma

Womit man beim klassischen Dilemma angelangt ist. Gleichgültig, welcher Meinung man sich anschließt oder welche Entscheidung getroffen worden ist, es besteht immer die Gefahr, dass beide Wahlmöglichkeiten zu viel Falsches in sich bergen und gleichzeitig in beiden Richtiges steckt. Wer oder was verleiht die Sicherheit um sich seiner Meinung gewiss sein zu können? Eine abschließende Analyse scheint mir unmöglich. Um so mehr, als man das Gefühl nicht los wird, dass noch nie so viele so dumme Menschen in so hohen Ämtern tätig waren. Karl Markus Gauss möge mir verzeihen, dass ich seine Worte verwende. (Leser-Kommentar, Reinhard Kober, derStandard.at, 9.9.2011)