DER STANDARD-
Schwerpunktausgabe 9/11

Grafik: STANDARD

Während eines Fluges geht ein grimmig blickender Mann, ziemlich dunkelhäutig und mit schwarzem Rauschebart, auf die Toilette. Nach wenigen Minuten äußert sich eine Dame laut, dass jener "Araber am Klo wirklich wie ein Terrorist ausschaut" . Ein unruhiges Murmeln bauscht sich rasch zu einem Stimmengewirr auf, das Panik, Schlägerei und die Notlandung zur Folge hat.

Diese Episode aus dem 2009 erschienen Roman Am Morgen des zwölften Tages (Deuticke) des österreichischen Autors Vladimir Vertlib zeigt, wie sehr die Terroranschläge des 11. September 2001 Klischees, Vorurteile und Misstrauen gegenüber Menschen, die "wie Moslems aussehen" , gebildet haben. "An arab or a bomb?" - "What the hell of a difference does that make?!" , schreit ein mitreisender Amerikaner.

Die Attentate in New York veränderten unser Denken, hört man zehn Jahre danach öfters. Terror und Gewalt bestimmen die Realität und üben eine Faszination aus, auf die die belletristische Literatur in der Wahl ihrer Themen gerne zurückgreift. Auf das fiktive Erzählen hat der Tag unmittelbar eingewirkt. Die Österreicherin Kathrin Röggla, die sich in der Nähe der einstürzenden Zwillingstürme befand, versammelt in really ground zero. (S. Fischer, 2001) erste Reaktionen, Spekulationen und selbstgemachte Fotos.

"Nine eleven" ist ein sensibles Thema, an das sich amerikanische Autoren wie Philip Roth, John Updike, Don DeLillo oder der junge Jonathan Safran Foer heranwagten. Beliebte Sujets sind Entfremdungen von Liebespaaren, die durch die Anschläge ausgelöst werden, und die Markierung des welthistorischen Moments im Alltagsleben der Menschen. Auf den "reinen" 9/11-Roman (wenn es so etwas überhaupt gibt) warten noch viele Kritiker, ähnlich wie auf den Wenderoman aus Deutschland. Möglicherweise findet die Folgegeneration aus der zeitlichen Distanz andere Worte.

Inwiefern und ob der islamistische Terror als literarischer Stoff Verwendung finden darf, fragt sich der französische Autor Frédéric Beigbeder schon 2003 in Windows on the World (Ullstein). Neben gesellschaftspolitischen Reflexionen gibt er die Katastrophe aus der Gedankenwelt eines Familienvaters, der mit seinen Kindern umkommt, minutiös wieder.

Nachdem die Wirklichkeit einigermaßen verarbeitet war und und die Fantasie der US-Autoren sich wieder Bahn brach, publizierte Jonathan Safran Foer 2005 Extrem laut und unglaublich nah (KiWi, eine Liebeserklärung an New York in Form eines Romans. Der neunjährige Oskar Schell, ein später Nachfahre von Oskar Matzerath aus Grass' Blechtrommel, verliert durch den Terroranschlag seinen Vater, begibt sich auf die Suche nach dessen Geheimnis und stößt auf die Geschichte seiner deutschen Großeltern.

Anders wiederum Don DeLillo, der in Falling Man (KiWi, 2007) ein Ehepaar auftreten lässt, das in die Anschläge verwickelt ist. Der US-Großautor, 1936 geboren, musste sich den Vorwurf der Unverfrorenheit gefallen lassen, den Fall des World Trade Center in Sprache konserviert zu haben: "Das Röhren hing immer noch in der Luft, das Bersten und Rumpeln des Einsturzes. Das war jetzt die Welt. Qualm und Asche kamen die Straße entlanggewalzt (...), seismische Qualmfluten und vorbeizischendes Schreibpapier, Normblätter mit scharfen Kanten, vorbeistreichend, -peitschend, anderweltliche Dinge im Sarg dieses Morgens."

Zehn Jahre danach gibt es kaum jemanden, der sich nicht erinnern kann, wo er sich an jenem Tag aufhielt, was er tat. Jay McInerney reparierte gerade die Jalousien seinen Hauses in Greenwich Village. In seinem Roman Das gute Leben (KiWi, 2007) treffen einander Corrine und Luke, denen finanziell nichts, aber im Leben die Erfüllung fehlt. Isabelle und Jakob, die Hauptfiguren aus Katharina Hackers 2006 erschienenem Roman Die Habenichtse (Suhrkamp) verliebten sich am 11.September 2001 und ziehen nach London, wo ihr gemeinsames Leben langsam auseinanderbröckelt. Die deutsche Autorin, hierfür mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet, erzählt die Geschichte karriereorientierter Snobs vor den Hintergründen der New Yorker Anschläge und der britischen Diskussion um den Irakkrieg.

Der vielfach ausgezeichnete Roman Zeitoun (KiWi, 2011) von Dave Eggers beleuchtet ein beschämendes Kapitel der jüngsten Geschichte Amerikas anhand einer wahren Begebenheit. Ein amerikanisch-syrischer Familienvater, der sich nach dem Hurrikan Katrina nützlich macht, wird unter Missachtung aller rechtlichen Grundsätze von den Truppen George W. Bushs als verdächtiger Al-Kaida-Terrorist festgehalten - womit sich der Kreis zu Vertlib schließt. In der Konfrontation mit pauschalisierten Aburteilungen und unreflektierten Ängsten wird die 9/11-Literatur weitere Beschäftigung finden. (Sebastian Gilli, DER STANDARD/ALBUM - Printausgabe, 10./11. September 2011)