Jean-Michel Turpin, "New York 9/11".
€ 40,- / 164 S. Frederking & Thaler 2011

Foto: Standard/Matthias Cremer

DER STANDARD-
Schwerpunktausgabe 9/11

Grafik: STANDARD

Es sind Bilder von enormer Intensität und beinahe ikonografischer Kraft (soweit dieser Terminus im Kontext des negativen Ereignisses überhaupt zulässig ist), die sich am 11. September 2001 in das kollektive Gedächtnis, in das kognitive Bewusstsein der globalisierten Gesellschaft eingebrannt haben. Sprichwörtlich vor Augen hat man, auch zehn Jahre danach, die apokalyptische Visualisierung einer Horrorvision, die normalerweise wie die groteske Übertreibung reißerischer Katastrophenfilme anmutet. Irreal in den Farben, oszillierend zwischen Anthrazit, Graublau und einem surrealen gelblichen Sepiaschleier, der sich optisch wie auch real über New York ergoss, nachdem die beiden Türme des World Trade Center in sich zusammengebrochen waren.

Der französische Fotograf Jean-Michel Turpin dokumentierte vor allem Menschen: durch Straßen irrend, suchend, fliehend, flehend, Blicke gen Himmel gerichtet. Berührend die tausenden auf Plakatwänden, Fassaden und in U-Bahn-Schächten affichierten Suchmeldungen: "Missing" .

American Dream versus traumatisiertes Kollektiv. Nicht zu vernachlässigen der psychologische Aspekt der Verwundbarkeit des fragilen Selbstbewusstseins. Eindringlich das emotionale Moment, abseits des Voyeurismus: Anfängliches Entsetzen ob der Irrationalität des desaströsen Terroraktes mutiert zu betroffenem Schweigen, Verzweiflung, auch Zorn. Nachdenklichkeit, Skeptizismus gegenüber der eigenen Staatsmacht und zur Mäßigung aufrufende Stimmen im Widerpart zu einem dezidiert mit Stolz vorgetragenen "United we stand"

Optisch auffallend weicht den fahlen Unfarben der Tage direkt nach dem Terroranschlag ein anschwellendes Meer an sternenbesetzten Fahnen - quasi als patriotische Visualisierung der Hymne der USA: "And this be our mot-to: / "In God is our trust!" / And the star-spangled banner / In triumph shall wave / O'er the land of the free / And the home of the brave!" (Gregor Auenhammer, DER STANDARD/ALBUM - Printausgabe, 10./11. September 2011)