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EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark
Frankfurt - Die Schuldenkrise wird binnen weniger Monate für den zweiten deutschen Top-Notenbanker zum Stolperstein. EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark tritt noch in diesem Jahr zurück. Grund für Starks Abgang ist ein Zerwürfnis über die vor allem in Deutschland umstrittenen Staatsanleihenkäufe der EZB. Auch warnte er vor steigenden Staatsausgaben. Bereits im Februar war der damalige Bundesbank-Chef Axel Weber zurückgetreten.
In dieser Krise sei alles falsch, was weitere Ausgaben unterstützt, schreibt Stark in einem Gastbeitrag für das "Handelsblatt" (Montagsausgabe). "Ein fiskalischer Stimulus würde die Schuldenstände nur weiter ansteigen lassen und daher diese Risiken noch weiter erhöhen", warnt der EZB-Chefökonom. "Die Anpassungskosten würden durch die Verschiebung der Konsolidierung in die Zukunft deutlich steigen."
Der als geldpolitischer Falke geltende Volkswirt äußerte auch indirekt Kritik daran, dass die Zentralbank Staatsanleihen der krisengeschüttelten Länder aufkauft: "Wir befinden uns in einer Situation, in der massive Tragfähigkeitsrisiken in den öffentlichen Haushalten die Finanzstabilität untergraben."
Stark gehört seit Monaten zu den heftigsten Kritikern der Bondskäufe, mit denen die EZB seit Mai 2010 Problemländer wie Griechenland stützt. Die Amtszeit des 63-Jährigen wäre normalerweise erst Ende Mai 2014 zu Ende. Der Euro fiel nach der Meldung auf ein neues Tages- und auch Sechs-Monats-Tief bei 1,37 Dollar. Der deutsche Börse-Leitindex DAX sackte am Freitagnachmittag um vier Prozent ab, der ATX in Wien gab um mehr als fünf Prozent nach und landet damit in einem Jahrestief.
Stark fordert ein Mehr an Europa
Es gelte "auf europäischer Ebene die notwendige Stärkung des institutionellen Regelwerks, der Wirtschafts- und Währungsunion zu erreichen", so Stark weiter. Eine "weit reichende Reform der Entscheidungs- und Sanktionsmechanismen" sei nötig, um in Zukunft eine effektive Koordinierung der Finanz- und Wirtschaftspolitiken in den Euroländern sicherzustellen.
Starks Nachfolger im sechsköpfigen EZB-Direktorium soll Finanz-Staatssekretär Jörg Asmussen werden, wie mit den Überlegungen vertraute Personen sagten. Auf jeden Fall soll der Posten erneut mit einem Deutschen besetzt werden, da die größte Volkswirtschaft der Euro-Zone sonst in dem Gremium nicht mehr vertreten wäre. Die EZB teilte mit, Stark werde so lange im Amt bleiben, bis der Nachfolger feststehe. Das solle bis zum Ende des Jahres klar sein.
EZB-Rat Nowotny bedauert Ausscheiden
Die Oesterreichische Nationalbank (OeNB) bedauert nach eigenen Angaben das Ausscheiden von Jürgen Stark aus dem Direktorium der Europäischen Zentralbank (EZB). "Jürgen Stark war und ist ein prononcierter Verfechter einer an der Wahrung der Preisstabilität orientierten Geldpolitik. Eine Haltung, die auch die OeNB im Eurosystem stets vertritt", erklärte OeNB-Gouverneuer EZB-Rat-Mitglied Ewald Nowotny am Freitag in einer Aussendung.
Die grundsätzliche Ausrichtung der EZB, die im EU-Vertrag klar festgelegt sei, bleibe durch den Rücktritt von Stark unangetastet, betonte der Gouverneur. Stark wird bis Ende 2011, bis zur Bestellung seines Nachfolgers, seine Funktion in der EZB wahrnehmen. In seiner Funktion als Chefvolkswirt der EZB ab 2006 habe sich Stark "sehr große Verdienste für den Euroraum erworben".
Von Falken und Tauben
Die EZB nannte persönliche Gründe für Starks Ausscheiden. Der scheidende EZB-Präsident Jean-Claude Trichet würdigte Starks Engagement für die Währungsunion in den vergangenen Jahren. Insbesondere in seiner Zeit im Direktorium seit 2006 habe er sich "mit ganzem Herzen" für den Euro stark gemacht.
Die EZB und die Euro-Zone trifft der Rückzug des promovierten Ökonomen Stark in einer sehr labilen Phase. Ende Oktober muss Präsident Trichet nach acht Jahren an der Spitze der Zentralbank turnusmäßig gehen. Nachfolger des Franzosen wird der Italiener Mario Draghi. Der aktuelle Chef der Banca d'Italia ist vor allem in Deutschland umstritten, lange Zeit galt zudem Weber als Favorit für die Trichet-Nachfolge. Aus deutscher Sicht geht mit Stark der zweite geldpolitische "Falke" nach Weber.
Asmussen wird dagegen zu den "Tauben" gezählt, die eine weichere geldpolitische Linie verfolgen. Er steht der SPD nahe, wurde aber wegen seiner im In- und Ausland hoch geachteten Expertise vom CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble nach dem Machtwechsel in Berlin im Amt gelassen. Er hat gemeinsam mit Weber und Bundesbank-Präsident Jens Weidmann - damals noch Berater der Kanzlerin - bei mehreren Bankenrettungen eine wichtige Rolle gespielt. (APA)