
"Die USA sind vergleichsweise ein sehr junges Land. Und doch so fortgeschritten und tolerant", meint Abdullah.
Von seiner Überzeugung, dass die USA das beste Land der Welt sind, lässt sich Abdullah* nicht abbringen. "Die USA sind vergleichsweise ein sehr junges Land. Und doch so fortgeschritten und tolerant. Ich habe nirgends so wenig Rassismus erlebt wie in Nordamerika." Der gebürtige Saudi sagt bewusst "Nordamerika", weil es Kanada war, wo sich seine Ansichten radikal gewandelt haben. Abdullah wurde in Toronto zum Atheisten, nachdem er dort mit Menschen, die ihre Wurzeln in allen Teilen der Welt hatten, gefeiert und gelebt hatte. "Die Atmosphäre war so locker dort, so offen. Ich habe mich zum ersten Mal in meinem Leben frei gefühlt und dieses Gefühl werde ich nicht mehr aufgeben."
Bewusst Wurzeln und Kultur aufgegeben
Abdullah war als Jugendlicher fasziniert von der amerikanischen Popkultur. Er hörte amerikanische Musik, sah amerikanische Filme, las amerikanische Bücher. Gemeinsam mit ein paar Freunden wurde er immer mehr zum Außenseiter in der konservativen saudiarabischen Kultur. Wenn Abdullah gefragt wird, ob er nicht seine saudiarabischen Wurzeln, seine Kultur verloren hat, dann entgegnet er, dass er Kultur und Wurzeln bewusst aufgegeben hat. Er meint, dass dies bereits in Saudi Arabien geschehen sei, nicht erst in den Staaten. Der Mittzwanziger schuf sich gewissermaßen eine neue Identität. Keiner seiner Freunde redet ihn mit seinem vollen Vornamen an, meist wird eine kurze, englische Form gewählt.
09/11 Ausschlaggeber für Auswanderung
Die Entscheidung nicht in Saudi Arabien bleiben zu wollen und in die USA auszuwandern traf Abdullah schon sehr früh. Nach den Anschlägen von 9/11 war für ihn vieles nicht mehr so wie früher. "In meiner Schule feierten viele Mitschüler die Anschläge. Ich dachte, dass es zumindest sehr eigenartig ist, sich über den Tod vieler unschuldiger Menschen zu freuen. Die Regierung in Saudi Arabien ist heute offener und progressiver als die Einwohner des Landes. Nach 09/11 war die Regierung schockiert, dass fünfzehn der neunzehn Attentäter Staatsbürger ihres Landes waren", schildert der Student.
Ultrakonservative Wahhabiten, ultrakonservative Amerikaner
Manchmal denkt Abdullah daran wie es wäre Kinder zu haben: "Ich würde nicht wollen, dass meine Kinder in eine saudische Schule gehen. Mir wurde dort erklärt, dass Darwin ein Verrückter ist und dass Blumen deshalb so schön sind, weil Allah sie erschaffen hat." Abdullah hofft aber auf eine starke junge Generation in Saudi Arabien, die sich gegen die verkrusteten Traditionen und den ultrakonservativen und dogmatischen wahhabitischen Islam auflehnt. Dieselben Hoffnungen hegt er auch für die junge Generation von arabischen Muslimen in den USA. "Manchmal spreche ich mit arabischen Taxifahrern hier. Wenn ich sie frage, wie ich hier eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung bekommen könnte, dann fragen sie mich, warum ich denn überhaupt in den USA leben will. Sie meinen, dass sie sofort wegziehen würden, wenn sie genügend Geld hätten." Abdullah glaubt aber nicht, dass sie die Vereinigten Staaten tatsächlich verlassen würden. "Sie genießen die Freiheit, die sie hier in den USA haben. In ihren Heimatländern könnten sie vieles, was für sie hier selbstverständlich ist, nicht leben."
Der Wahl-Amerikaner äußert aber auch Bedenken über die Zukunft der jungen muslimisch-arabischen Amerikaner. Er meint, dass es für viele sehr schwer sein muss, wenn sie einerseits in einem wertekonservativen Haushalt leben und ihnen gleichzeitig in der Schule beigebracht wird, dass zum Beispiel Homosexualität etwas Normales ist. "Es gibt viele liberale arabische Muslime in den USA und es gibt sehr viele ultrakonservative Amerikaner. Aber es ist für mich persönlich traurig auf den Straßen eines arabisch geprägten Stadtviertels in Queens, New York, zu spazieren und zu bemerken wie wenige Frauen plötzlich zu sehen sind.", meint Abdullah.
Kein "amerikanischer Held" in Saudi Arabien
Nach Saudi Arabien zurückzukehren und an der von ihm gewünschten Werteliberalisierung mitzuhelfen wird Abdullah jedoch nicht - "dafür bin ich zu egoistisch, ich will in den USA sein, mich nicht in Saudi Arabien als ein westlicher Held aufspielen." Dafür will er in seiner neuen Heimat mitanpacken, damit die USA das bleiben wofür sie standen und stehen: Ein offenes und tolerantes Land, wie Abdullah glaubt. "Es gibt dieser Tage aber eine Menge weißer, konservativer Männer und Frauen, die meinen, dass Darwin ein Verrückter war und die Offenheit und Toleranz Amerikas zu zerstören versuchen." (Willi Kozanek, 9. September 2011, daStandard.at)