
DER STANDARD-
Schwerpunktausgabe 9/11
Jetzt schwelgen sie alle noch einmal in Erinnerungen - der legendäre Werfer John Franco, Trainer Bobby Valentine und natürlich Mike Piazza, der mit einem denkwürdigen Schlag Jubelstürme auslöste. Natürlich darf auch Chipper Jones nicht fehlen, der Bulle aus Atlanta, den das New Yorker Publikum gern schmähte, zumal er so etwas wie ein Angstgegner war. Nur nicht am 21. September 2001, da wurde der Südstaatler genauso gefeiert wie die Lokalmatadore. An diesem Tag ging es nicht ums Gewinnen.
"Wir hatten verloren, aber das war mir egal" , sagt Jones zehn Jahre danach. Sein Teamgefährte John Smoltz bringt es auf den Punkt. "Es war ein Spiel, das nicht wirklich ein Spiel war. Es war eine Heilung." Zehn Tage nach 9/11, die erste wichtige Baseballpartie in New York. Das William Shea Stadium, draußen in Flushing Meadows, weit im Osten der Stadt, lag in der Nähe des La Guardia Airport. Es gab Bedenken, ob man den Zusehern den Anblick startender Flieger zumuten konnte. Und war es nach der Tragödie nicht viel zu früh für ein Sportspektakel?
"Die Menschen wussten nicht, wie sie auf den 11. September reagieren sollten" , beschreibt es Bobby Valentine. "Es gab das Verlangen, nur zu trauern, keine andere Emotion zu zeigen als Trauer." Auch bei den Spielern der Mets. Die waren nach einem Auswärtsmatch in Pittsburgh im Bus zurück nach New York gefahren, da nach den Anschlägen sämtliche Flüge gestrichen waren. Lange bevor der Bus die Stadt erreichte, konnten sie die Rauchwolken sehen, dort, wo vorher die Zwillingstürme gestanden waren. Nach intensiver Debatte waren sich beide Trainer einig, Valentine von den Mets und Bobby Cox von den Atlanta Braves. Sie wollten ein Zeichen setzen, sich von Terroristen nicht aus der Bahn werfen lassen.
Andere, sagt Valentine, hätten es anders gesehen - mit gutem Recht. Niemand habe wissen können, wie es ausgehen würde, ob nicht leere Ränge die Weltuntergangsstimmung noch verstärken würden. Diana Ross sang God Bless America, auf der Tribüne saß Bürgermeister Rudolph Giuliani, der von den Vierzigtausend mit "Rudy" -Sprechchören gefeiert wurde, obwohl die genau wussten, dass er den Ortsrivalen, den Yankees, die Daumen drückte. Sogar die Braves trugen Helme mit den Aufschriften "NYPD" und "FDNY" , ehrten so die Polizei und die Feuerwehr von New York. In einer Pause brach Liza Minnelli mit New York, New York den Bann. Es durfte wieder gelacht und gejubelt werden.
Schließlich gelang Piazza ein historischer Schlag. Der Ball flog auf die Tribünen, der Catcher der Mets vollendete den Home Run zum Sieg. Es war einer der emotionalsten Momente der Baseball-Geschichte, ein Befreiungsschlag, im wahrsten Sinne des Wortes. "Für Tausende von Betroffenen hat dieses Spiel überhaupt nichts geändert. Für die Stadt bedeutete es einen kleinen Schritt zurück zur Normalität" , schrieb die New York Times.
Zehn Jahre später gibt es das alte Stadion nicht mehr. Die Mets spielen heute im Citi Field. Das Shea Stadium wurde vor drei Jahren abgerissen. Die patriotische Welle, die nach dem 21. September 2001 durch die Baseballstadien der USA schwappte, ebbte irgendwann ab. Statt God Bless America plärrt auch bei den Mets wieder das unbeschwerte Take Me Out to the Ball Game aus den Lautsprechern. Mike Piazza, der 2007 seine Karriere beendete, kehrt am Jahrestag noch einmal zurück ins Scheinwerferlicht. Franco wird den ersten Ball werfen, und Piazza wird versuchen, ihn abzuwehren. (DER STANDARD PRINTAUSGABE 10.9. 2011)