In Österreich seien rund 500 radikalislamistische Anhänger bekannt, sagte Gridling im Gespräch mit Michael Möseneder und Michael Simoner.
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STANDARD: Wie hoch ist die Terrorgefahr anlässlich des zehnten Jahrestages von 9/11?
Gridling: Die Gefahr ist grundsätzlich erhöht, und deshalb sind Sicherheitsbehörden überall auf der Welt nervös. Der Westen ist nach wie vor das Ziel des islamistischen Terrors. Es kann jederzeit auch uns treffen, obwohl durch militärische Maßnahmen viele prominente Kader von Al-Kaida eliminiert worden sind. Der kürzlich in Pakistan festgenommene Junis Al-Mauretani war dafür zuständig, langfristig Terrorzellen in Europa zu installieren. Wir hatten im Mai drei Festnahmen in Berlin, Wien und Tirana, die genau in dieses Muster gepasst haben. Daher können wir nicht ausschließen, dass es Schläfer gibt, die sich unauffällig in die Gesellschaft einfügen und bei Bedarf losschlagen könnten. Bei aller Ernsthaftigkeit ist aber keine Hysterie angebracht.
STANDARD: Lässt sich die Bedrohung in Österreich konkretisieren?
Gridling: Es gibt an die 500 Leute, die sich mit radikalislamistischem Gedankengut identifizieren und eine niedrige zweistellige Anzahl von Personen, die bereit sind, Unterstützungshandlungen zu setzen oder sich für den Jihad rekrutieren zu lassen. Dazu gibt es Wanderprediger mit extrem aggressiven Botschaften.
STANDARD: Wer sind diese radikalisierten Menschen?
Gridling: Der Großteil ist in Österreich sozialisiert. Wir haben Kinder von Migranten, junge Österreicher, die zum Islam konvertiert sind. Wir haben es auch, aber immer seltener, mit Menschen aus dem Ausland zu tun, die schon dort aufgefallen sind.
STANDARD: Moscheen werden aus dem Ausland finanziert. Werden so Ideologien transportiert?
Gridling: Wenn Saudi-Arabien einen Moscheebau unterstützt, wird dort wahrscheinlich ein Islam wahhabitischer Prägung verbreitet. Wenn aus der Türkei ein Bau unterstützt wird, dann wird der Imam die türkische Linie fördern.
STANDARD: Laut Europol hatten im Vorjahr nur drei von 250 Anschlägen islamistischen Hintergrund.
Gridling: Die große Gefahr beim islamistischen Terrorismus ist, dass er wie bei 9/11 auf große Opferzahlen abzielt. Die Botschaft ist:"Der Feind seid ihr alle."
STANDARD: Können Sie Terror genau definieren?
Gridling: Das kann ich nicht, da das bis heute noch keiner geschafft hat. Aber wir haben im Strafrecht Definitionen, was eine terroristische Straftat ist (Einzeldelikte wie z. B. Mord, wenn sie eine große Öffentlichkeit verunsichern, Anm.).
STANDARD: Nun wollen Innen- und Justizministerium neue Gesetze beschließen. Was wünschen Sie sich?
Gridling: 2005 brachte der Europarat, der der Entwicklung von Demokratie und Freiheitsrechten dient, eine Konvention zum Terrorismus heraus, die Österreich nur teilweise implementiert hat. Man hat die "Hassprediger" -Problematik ausgeklammert. Wir haben zwar ein Gesetz gegen Gutheißung einer Straftat. Aber das bezieht sich auf eine Öffentlichkeit von mindestens 150 Personen. So etwas findet aber meist in kleinerem Rahmen statt. Jetzt soll es auf 30 Personen reduziert werden. Ein anderes Problem: Bei Gruppierungen haben wir die Möglichkeit der "erweiterten Gefahrenerforschung" , bei der nach Genehmigung durch den Rechtsschutzbeauftragten Informationen gespeichert werden können. Bei Einzelpersonen dürfen wir das derzeit nicht. Die Entwicklung zeigt aber, dass wir es vermehrt mit Einzeltätern zu tun haben und eine analoge Aufgabe notwendig erscheint. Uns ist vollkommen klar, dass das kein Wundermittel ist. Aber es kann dazu führen, dass eine Person in den Fokus kommt, die möglicherweise gefährlich ist.
STANDARD: Wird das BVT künftig jeden Verfasser eines Manifestes wie von Breivik überprüfen?
Gridling: Das ist unmöglich, das kann keine Organisation der Welt. Aber wenn mehrere Einzelsignale zusammenkommen, lässt das eine andere Gefahrenprognose zu.
STANDARD: Aber wie soll das konkret ausschauen?
Gridling: Eltern kommen zum Beispiel und sagen: "Wir erkennen unser Kind nicht wieder. Er hört nur noch radikale Predigten und geht nicht mehr arbeiten." Das allein ist noch nichts. Aber dann kommt ein Hinweis aus dem Ausland, dass er bei radikalen Islamisten war. Bisher hätten wir das nicht verknüpfen dürfen.
STANDARD: Ein anderer Plan ist, dass bereits der Wille, in ein Terrorcamp zu fahren, strafbar wird. Ist das nicht schon sehr weit weg von einer Tat? Der Verdächtige könnte ja im Flieger draufkommen, dass er doch nicht will?
Gridling: Das ist dann die Aufgabe der Justiz, das festzustellen.
STANDARD: Nun gab es bereits Fälle, wo Menschen an der Ausreise gehindert wurden.
Gridling: Ja, aber da wurde nur der Organisator festgenommen, die anderen im Auftrag der Staatsanwaltschaft zur polizeilichen Befragung angehalten.
STANDARD: Im kleinen Österreich gibt es das BVT, das Heeresabwehr-amt und das Heeresnachrichtenamt. Sollten die drei Dienste nicht vereint werden?
Gridling: Nein, die Zielsetzungen sind unterschiedlich. Das Heeresabwehramt soll Gefahren vom Bundesheer abwehren. Das HNA sammelt militärische und strategische Informationen über das Ausland. Beide haben nicht grundsätzlich die Aufgabe, Terrorismus so zu bekämpfen wie das BVT. Wir wiederum sind kein Nachrichtendienst sondern eine Polizeiorganisation mit nachrichtendienstlichem Charakter. Wir haben jedoch keine nachrichtendienstlichen Befugnisse.
STANDARD: Hätten Sie die gerne?
Gridling: Die Frage ist nicht, was ich gerne hätte, sondern was sieht der Gesetzgeber vor, um Österreich wirksam zu schützen. Ich glaube, dass wir als Hybridorganisation mit dieser Vernetzung in beide Welten gut arbeiten.
STANDARD: Was ist gefährlicher: Links-, Rechts- oder islamistischer Extremismus?
Gridling: Weder Rechts- noch Linksextremismus sind unserer Einschätzung nach derzeit eine Gefahr für die österreichische Demokratie. Momentan ist islamistischer Radikalismus die größte Bedrohung.
STANDARD: Aber Anzeigen gegen Rechtsextreme nahmen um 31 Prozent zu.
Gridling: Die Zunahme ist auf verschiedene Aspekte zurückzuführen. Einerseits gibt es in der Gesellschaft eine hohe Sensibilität, und auch das Bewusstsein innerhalb der Polizei im Hinblick auf rechtsextremistische Aktivitäten wurde erhöht, andererseits stellen wir fest, dass immer mehr Tatbestände im Internet oder in diversen sozialen Netzwerken gesetzt werden. Es gibt aber manchmal auch Zuordnungsprobleme. Ich wage zu bezweifeln, dass jemand, der ein Hakenkreuz auf ein FPÖ-Plakat schmiert, sich nationalsozialistisch wiederbetätigen will. Im Grunde ist das Sachbeschädigung, die zwar politisch motiviert, aber nicht unbedingt einem Rechtsextremen zuzuordnen ist. Von Links- oder Rechtsterror sind wir in Österreich weit entfernt. (Michael Möseneder, Michael Simoner, DER STANDARD, Printausgabe, 10./11.9.2011)