Alison Bethel McKenzie, Direktorin des International Press Institute.

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DER STANDARD-
Schwerpunktausgabe 9/11

Wien - Alison Bethel McKenzie leitete die Hauptstadtredaktion der Detroit News in Washington, als die Linienmaschinen ins World Trade Center einschlugen. "Ich war noch daheim, zog mich an, um zur Arbeit ins National Press Building zu gehen" , erinnert sich die Direktorin des International Press Institute IPI an den 11. September 2001: "Wie wohl jeder andere an diesem Tag in diesem Land geriet ich in Panik, schlüpfte rasch in Jeans und Sportschuhe und eilte in die Redaktion."

Als sie im Büro eintraf, schlug gerade eine Linienmaschine ins Pentagon ein. "Nur eine Kollegin von elf schaffte es in diesem Chaos außer mir ins Büro. In solchen Momenten können Sie nur noch in eine Art Notfallmodus gehen und versuchen, zu zweit zu telefonieren, mitzuschreiben, was die Kollegen da draußen erfuhren, Beiträge für Internet und Zeitung an die Redaktion in Detroit zu liefern. Wir waren so am Rotieren, Storys zu schreiben, um die Leute zu informieren:Wir realisierten für uns selbst erst nach Stunden, vielleicht erst Tage später, was da passiert ist."

Was da passiert war, hatte verheerende Folgewirkungen auch auf die Medienfreiheit. US-Präsident George W. Bush, und nicht er, nur seine Regierung, missbrauchte die Anschläge, den Zugang zu Informationen massiv einzuschränken.

Terrorismusgefahr

Bethel McKenzie: "9/11 machte es Regierungen auf der ganzen Welt einfach, Informationen mit dem Argument von Terrorismusgefahr als top secret zu deklarieren. Viele Staaten haben diese Möglichkeit missbraucht. Nehmen wir die USA: Medien wurde untersagt, Fotos von den Särgen der getöteten Soldaten zu zeigen. Das ist eine klare Verletzung der Pressefreiheit. Ebenso, wenn Staaten Informationen mit Hinweis auf nationale Sicherheit verweigern, ohne das zu begründen. Das missbraucht die Angst der Menschen vor Terror."

Sie erinnere sich noch, wie Journalisten vor diesem 11. September 2001 arbeiten konnten. "Viele Länder, viele Regierungen haben 9/11 als ein Instrument benutzt, Informationen vor der Öffentlichkeit und vor Journalisten geheim zu halten. Das Mantra lautete:nationale Sicherheit. Doch das allein reicht nicht, um diese Einschränkungen zu begründen. Dieses Mantra erzeugt Angst bei den Menschen - und bringt sie auf die Seite von Regierungen."

Nachwirkungen

Das gelte auch für Journalisten. "Es ist ungemein schwer, als Journalist unbeeinflusst davon zu arbeiten, unabhängig und fair zu berichten. Das ist eine ständige Herausforderung. Noch immer, zehn Jahre nach 9/11, behaupte ich, dass ein Teil der Journalisten etwa in den USA, aber beileibe nicht nur dort, diese Unvoreingenommenheit und Fairness, etwa gegenüber Muslimen, noch nicht gefunden oder wiedergefunden hat."

Hat sich die Lage der Medienfreiheit insgesamt nicht wieder langsam gebessert? "Ich weiß, das sagt jeder, aber: Die Welt, nicht nur die USA, wird nie wieder so sein wie vor 9/11.Ich denke, es wird besser. Regierungen und Medien beginnen, den Missbrauch nationaler Sicherheit zu realisieren. Gegen diesen Missbrauch arbeiten Organisationen, die sich für Pressefreiheit einsetzen, auch Medien-konzerne, sogar manche Regierungen."

Einstellung geändert

Die IPI-Chefin hat auch "das Gefühl, dass sich die Einstellung aufseiten der Medien geändert hat: Viele akzeptieren, dass die Veröffentlichung bestimmter Nachrichten zu gewissen Zeitpunkten Gewalt und Terrorismus fördern kann. Vor 9/11 wären viele Medien nicht bereit gewesen, sich mit Regierungsleuten an einen Tisch zu setzen, um ihre Berichterstattung zu besprechen."

Wikileaks habe zuletzt demonstriert, wie man mit Informationen verantwortungslos umgeht: "Professionelle Journalisten würden zugespieltes Material mit der übrigen Redaktion beurteilen, was davon verwendbar ist, sie würden die Informationen auf ihren Wahrheitsgehalt, ihre Vollständigkeit und ihre Bedeutung für die Öffentlichkeit prüfen. Das macht einen wesentlichen Unterschied. Und das ist, was die Meinungen über Wikileaks so teilt - zwischen Informationsfreiheit und verantwortungslosem Umgang mit Information." (fid/DER STANDARD; Printausgabe, 10./11.9.2011)