Die laufende Debatte um "Verteilungsgerechtigkeit" hat einen parteipolitischen, aber auch einen objektiven Grund.
Parteipolitisch: Die SPÖ ist ideenmäßig ausgeronnen bzw. auf Krone-Populismus-Niveau angelangt, bzw. weiß sie nicht mehr, wie sie den Sozialstaat finanzieren soll. Da greift sie hochbeglückt nach dem Thema "Besteuert die Reichen" .
Aber, auch zur Ehre der Sozialdemokratie (und der Grünen) sei es gesagt, es gibt tatsächlich ein Missverhältnis in der sozialen Balance. Die Masseneinkommen stagnieren in den letzten Jahren bzw. sind teilweise sogar geringfügig zurückgegangen. Dagegen stehen die empörenden Millionenabzockereien von blau-schwarzen Glücksrittern wie Meischi mit seinem legendären "Wos woa mei Leischtung?"
So abstoßend diese "Generation Grasser" auch ist und so weitverbreitet offensichtlich die Korruption im Bereich staatsnahe Betriebe/Politik, so darf man darüber nicht die wahren, mengenmäßig viel bedeutenderen Fragwürdigkeiten in unserem sozialen, aber auch Leistungsgefüge außer Acht lassen. Es gibt Gruppen, die gehören nicht zu den Superreichen, sogar eher zur Mittelschicht, die sich aber trotzdem dank besserem Lobbyismus eine begünstigte Position herausgeschlagen haben. Wer heute abschlagsfrei in Frühpension geht, und das sind inzwischen zu drei Vierteln Beamte, genießt ein Privileg auf Kosten anderer. Aber er wird von der Politik (SPÖ und manche ÖVP-Gewerkschafter) geschützt.
Es besteht der begründete Verdacht, dass im Österreich von heute sich die Maßstäbe verschoben haben, was Leistung und was Gerechtigkeit ist. Martin Schürz ist Projektleiter der mittlerweile berühmten Nationalbankstudie, die eine extreme Ungleichverteilung beim Vermögen postuliert. Einer Zeitschrift der Gewerkschaft der Privatangestellten sagte er: "Leistung steckt in Arbeit, aber kaum in Vermögen. Einkommen aus Vermögen kommt besonders bei reichen Menschen aus Erbschaften, Schenkungen und spekulativen Aktienkursgewinnen."
Steve Jobs hat demnach beim Aufbau und Erhalt der Weltmarke Apple, die ihn immens reich gemacht hat, nichts erarbeitet, sondern nur geerbt, etwas geschenkt bekommen oder erspekuliert. Oder, ein paar Nummern kleiner: Der typische österreichische mittelständische Unternehmer, der es mit Innovation, Fleiß und Geschick zu einem gewissen Vermögen gebracht hat und dieses erhält, erbringt demnach eigentlich auch keine unternehmerische Leistung.
Der Vergleich zwischen der alleinerziehenden Supermarkt-Kassiererin und Herrn Meischberger macht wütend. Aber auch beim Vergleich zwischen der Kassiererin und dem weit besser gestellten untergeordneten und oft unterbeschäftigten Amtsorgan in den Tiefen der Verwaltung sollte nach Gerechtigkeit gefragt werden; und so sehr die Grasserei zu verurteilen ist (auch im engeren Wortsinn), so sehr muss ein Gemeinwesen der Leistung von zehntausenden Unternehmern, Managern und Freiberuflern Gerechtigkeit angedeihen lassen. (DER STANDARD; Printausgabe, 10./11.9.2011)