Potsdam - "Unglaubliche Parallelen" zwischen dem Genozid an den Armeniern durch die türkische Regierung und dem Holocaust durch die Nationalsozialisten zieht der aus Österreich stammende Schriftsteller Peter Stephan Jungk. Bei einem Vortrag in Potsdam über den Dichter Franz Werfel im Rahmen des Internationalen Literaturfestivals Berlin sprach er Freitagabend von den türkischen Konzentrationslagern, die 1915/1916 angelegt worden seien.
"Selbst dem Unsensibelsten müssten die Parallelen zwischen den Jungtürken und dem NS-Gedankengut aufgefallen sein", sagte Jungk über das im November 1933 erschienene Buch Werfels "Die vierzig Tage des Musa Dagh". Darin schreibt der Dichter über den "ersten systematischen Völkermord in der Geschichte der Menschheit", wie es der Werfel-Biograf Jungk bezeichnete. Diese Taten waren offenbar auch Adolf Hitler bekannt. Als sich Offiziere skeptisch über das Ansehen Deutschlands angesichts der planmäßigen Ermordung der Juden gezeigt hatten, soll Hitler ihnen gegenüber gemeint haben: "Wer erinnert sich heute noch an die Massaker der Türken am armenischen Volk?"
Tatsächlich habe die Welt wenig Anteil an den Verfolgungen genommen, die bereits Ende des 19. Jahrhunderts eingesetzt hätten, sagte Jungk. Franz Werfel sei mit dem Thema anlässlich seiner ersten Nahostreise im Jahr 1930 konfrontiert und davon nicht mehr losgelassen worden. In den darauffolgenden drei Jahren schrieb er sein an die 1.000 Seiten starkes Buch.
"Es gibt wenige Bücher des 20. Jahrhunderts, die eine solche Wirkung auf die Gegenwart, und wie zu befürchten ist, auf die Zukunft haben, wie dieses", sagte er und bedauerte es, dass es nicht Pflichtlektüre an den Schulen sei: "Werfel hat den Holocaust an den Juden vorhergefühlt", sagte er. "Er schrieb schon von Konzentrationslagern zehn Jahre vor der Wannseekonferenz."
Der Vortragsort, das Lepsius-Haus in Potsdam, war mit Bedacht gewählt worden: Im Zuge seiner Recherchen zum Roman war Werfel auf die Schriften des Potsdamer Theologen und Pastors Johannes Lepsius gestoßen. Dieser hatte sich erfolglos an höchster türkischer Stelle für das armenische Volk eingesetzt und in seinen Schriften über Vertreibungen, Blutbäder und Zwangsislamisierungen berichtet. "Ich glaube, dass die Schriften von Lepsius einen besonderen Anteil an den 'Vierzig Tagen des Musa Dagh' haben", sagte Jungk. "Was im Roman über die Ermordung und Vertreibung des armenischen Volkes geschrieben ist, das ist alles nicht Werfels Erfindung, sondern beruht ausschließlich auf Zeugenaussagen, Dokumenten und Protokollen." Dabei fänden sich die Schriften von Lepsius "deutlich gespiegelt". (APA)