Auf die Romantisierung des Umbruchs in Ägypten als demokratische und aufklärerische Läuterung der Massen droht nach dem Angriff auf die israelische Botschaft in Kairo nahtlos die "Der arabische Frühling zeigt sein wahres Gesicht" -Phase zu folgen. Beides greift zu kurz. Die Ereignisse von Kairo kamen nicht unerwartet - was es umso kritikwürdiger macht, dass die ägyptischen Behörden so lange zum Eingreifen gebraucht haben. Aber sie griffen letztlich entschieden ein, und sie versprachen am Tag danach Aufklärung und Bestrafung der Täter.

Deshalb ist auch der Vergleich mit dem Sturm auf die amerikanische Botschaft in Teheran im Jahr 1979 unangebracht. Dieser war ein prototypischer Teil der neuen revolutionären iranischen Politik. In Ägypten distanzieren sich nicht nur der Militärrat und die Regierung, sondern auch die Jugendbewegung des 6. April - die die Revolution trug, aber mit dem Militärrat längst im Clinch liegt - von dem Gewaltakt gegen die Israelis. Nicht einmal die Muslimbrüder wollen etwas damit zu tun haben.

Dennoch wäre es wiederum eine Verharmlosung, würde man die antiisraelischen Ressentiments - mit einer verwischten Grenze zum Antisemitismus - in Ägypten als Befindlichkeit eines kleinen, scharf abgegrenzten radikalen Sektors der Gesellschaft beschreiben. Die ägyptische Populärkultur ist in großen Zügen antiisraelisch. Vor der israelischen Botschaft in Kairo waren am Freitag auch "normale" Ägypter zugange wie auf dem Tahrir-Platz, das waren nicht nur wilde langbärtige Al-Kaida-Sympathisanten. Auch das späte Eingreifen der Behörden lässt sich aus der Tatsache herleiten, dass es eben unpopulär ist, sich gegen das "Volk" zu wenden, um die Partei Israels zu ergreifen, selbst wenn das Recht so klar auf der israelischen Seite ist.

Israel hat in dieser Situation ausgesprochen besonnen und vernünftig gehandelt - wenn nur nicht Außenminister Avigdor Lieberman, der auch die Eskalation mit den (ebenfalls eskalationswilligen) Türken geradezu zelebriert, noch mit irgendetwas daherkommt. Zu einer ägyptisch-israelischen Kooperation gibt es keine Alternative.

Schon allein wegen der gemeinsamen Grenze: Wie wichtig deren Sicherheit für Israel ist, wurde jüngst deutlich, als Terroristen - wahrscheinlich von Gaza nach Ägypten infiltriert - in Südisrael eindrangen. Die fünf ägyptischen Soldaten, bei der Verfolgung der Terroristen durch die israelische Armee zu Tode gekommen, waren ja auch der äußere Anlass für die Attacken auf die israelische Botschaft in Kairo. Die von Freitag war nicht die erste - bei einer anderen war schon einmal die israelische Flagge von einem neuen "Helden" Ägyptens heruntergeholt worden.

Natürlich verstehen die Angreifer ihre Aktionen auch selbst als Attacken auf den israelisch-ägyptischen Friedensvertrag, so wie es Israels Premier Netanjahu formuliert hat. Beide Länder, Israel und Ägypten, bekennen sich zu Camp David, wobei es die neue ägyptische Außenpolitik, die alle Beziehungen neu regeln will, mit sich bringt, dass der - im Abkommen selbst als möglich vorgesehene - Wunsch nach einer Revision gewisser Punkte aktuell wird. Das wird vor allem die Einschränkungen der ägyptischen Truppenstationierungen in einigen Sektoren des Sinai betreffen. Das Dilemma für Israel, das Interesse daran hat, dass Ägypten den Sinai ruhig hält, ist da nach den Geschehnissen von Freitag noch größer geworden - proportional zum kleiner werdenden Vertrauen in Ägypten. (DER STANDARD, Printausgabe, 12.9.2011)