Hall in Tirol - Hugo. Diesen Namen hörte man heuer während des dreitägigen Literaturfestivals "Sprachsalz" in Hall in Tirol immer wieder. Denn Hugo war gefragt. Und gesucht. Das Getränk gleichen Namens, ja jede Flüssigkeitszufuhr war auch bitter nötig angesichts der geradezu tropischen Temperaturen, die in diesem Jahr während der Lesungen nicht nur auf der Panoramaterrasse des Parkhotels herrschten.

Schon oft ist "Sprachsalz" sonnenverwöhnt gewesen, aber heuer staunte ob der Hitze selbst das Organisationskomitee um Heinz D. Heisl, Magdalena Kauz, Urs Heinz Aerni und Elias Schneitter, letzterer Beatnik ehrenhalber, gelingt es ihm doch immer wieder, die großen Wilden der US-Lyrik nach Tirol zu schleusen.

Dieses Fest der Literatur, auf dem "Salz zum Zucker wird", wie es der Autor Christoph Simon feinsinnig bei der Einführung des feinsinnigen Literaturspurenlesers Werner Morlang ausdrückte, bot auch im neunten Jahr stupende Überraschungen. Wo sonst in Österreich hat man schon Gelegenheit, einen Großen der US-amerikanischen Dichtung wie den 86-jährigen Gerald Stern aus New Jersey zu erleben, wo sonst die eminente Lyrikerin Anne-Marie Macarie zu entdecken, wo sonst mit Taras Prochasko einen gewitzten Schilderer der gegenwärtigen Ukraine zu erleben?

Sprachsalz sings

Und wo im deutschsprachigen Raum die dynamisch übersprudelnde schwarze Beatpoetin Maketa Groves aus San Francisco, die mit "Sprachsalz sings" nicht nur einen der treffendsten Sätze über dieses Festival prägte. Sondern die mit fulminanter Emphase ihre artistischen und engagierten Poeme las, und eine lyrische Hommage an den Jazzmusiker Miles Davis in Teilen sang.

Und wo sonst hätte man den unveröffentlichten Text Die Wasser von Kathrin de Vries aus Ostfriesland hören können, der so einfach daherkommt, dabei leicht spintisierend und abgedreht und hochavantgardistisch ist? Mit Urs Allemann tauchte man ab in die bis dato unbekannte Sprachwelt des Tölksch, mit Werner Morlang suchte man den fast vergessenen Feuilletonisten Victor Auburtin auf. Oder erklärt der kluge Gedanke des Auslandstirolers Norbert Gstrein, der erstmals bei "Sprachsalz" las und dafür sorgte, dass die feuerpolizeilich erlaubten Bestuhlungskapazitäten restlos ausgeschöpft wurden, den neuerlichen Anstieg der Besucherzahlen auf 3200? "Weil die Zeit endlich ist, gibt es die Sehnsucht nach Gegenwelten", meinte er während einer Gesprächsrunde am Samstagnachmittag.

Vielleicht hielt es das Publikum der 33 Lesungen (u. a. Irene Prugger, Christian Steinbacher sowie Angelika Reizer) und dreier Diskussionsrunden aber doch mehr mit dem in der Schweiz lebenden Russen Mikhail Schischkin: "Schreiben ist für mich das wichtigste Gespräch." Solche Gespräche sind selten so entspannt möglich wie in Hall. Um es mit Ohne Rolf zu sagen, dem pfiffigen, stummen Kabarettduo aus Luzern und in diesem Jahr einer der durchschlagendsten Erfolge bei "Sprachsalz": "Danke und auf Weiterlesen." (Alexander Kluy, DER STANDARD - Printausgabe, 13. September 2011)